Sonnenalarm über der Erde: Warum ein einziger Sturm Billionenschäden auslösen könnte
Die Sonne wirkt friedlich am Winterhimmel, doch im Inneren baut sich Energie auf, die weltweit Systeme ins Wanken bringen könnte. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt warnt vor einem erhöhten Risiko schwerer Eruptionen – ein Szenario, das in der Versicherungswirtschaft als Albtraum gilt.
Die Sonne zeigt Aktivitäten, die Experten alarmieren
Mehrere besonders große Sonnenflecken sind zuletzt aufgetaucht. Sie können Ausgangspunkt für Eruptionen sein, die eine hochenergetische Plasmawolke ins All schleudern. Trifft sie die Erde, überlagert sie das geomagnetische Feld und stört alles, was auf Navigation, präzise Zeitimpulse oder stabile Stromnetze angewiesen ist.
„Grundsätzlich ist aktuell genug Energie da“, sagt DLR-Forscher Florian Günzkofer. Das Entscheidende fehle jedoch: die Gewissheit, ob sich die aufgestaute Energie tatsächlich entlädt – und wohin.
Die möglichen Schäden übersteigen jede klassische Risikomodelle
In der Versicherungswelt spricht man bei einem Sonnensturm von „hohem Kumul“. Ein einzelnes Ereignis würde global unzählige Policen gleichzeitig auslösen – von Stromausfall über Luftfahrt und Transport bis hin zu Landwirtschaft und Telekommunikation. Diversifikation, das Grundprinzip ihrer Risikosteuerung, greift nicht mehr.
Wie groß die wirtschaftliche Verwundbarkeit ist, zeigte der Versicherungsmarkt Lloyd’s bereits im Frühjahr. In einem globalen Modell berechneten die Analysten mögliche Verluste von 1,2 bis 9,1 Billionen Dollar über fünf Jahre. Das entspricht bis zu 1,4 Prozent des weltweiten BIP. Allein die versicherten Einzelschäden lägen nach heutigem Stand bei rund 17 Milliarden Dollar. Der Anteil unversicherter Kosten wäre erheblich höher.
Ein Vorgeschmack kam mit dem Muttertagssturm
Der leichte Sonnensturm im vergangenen Jahr war ein Warnsignal. Er verursachte Schäden im dreistelligen Millionenbereich, hauptsächlich in der US-Landwirtschaft. GPS-Störungen führten dazu, dass Maschinen falsch navigierten – eine Erinnerung daran, wie schnell Fehlerketten entstehen, wenn präzise Positionierungsdaten ausfallen.
Dass ein vergleichsweise kleiner Sturm solche Auswirkungen hat, zeigt, wie eng digitale und physische Prozesse inzwischen miteinander verflochten sind.
Die aktuelle Warnung ist ungewöhnlich deutlich
Günzkofer verweist auf die Größe der Sonnenflecken – und die historische Parallele. Ähnliche Ausmaße habe man zuletzt beim Carrington-Ereignis von 1859 beobachtet, dem heftigsten dokumentierten Sonnensturm. Damals brannten Telegrafenleitungen, Polarlichter waren weltweit sichtbar. Würde ein vergleichbarer Ausbruch heute eintreten, träfe er ein global vernetztes System, das auf ständige Verfügbarkeit angewiesen ist.
Lloyd’s bewertet genau dieses Szenario als hochriskant: Stromnetze könnten teils über Tage ausfallen, GPS-Dienste instabil werden, Satelliten beschädigt oder komplett verloren gehen. Folgen, die sofort in Logistik, Finanzsysteme, Kommunikation und Versorgungsketten durchschlagen würden.
Satelliten und Stromnetze wären die empfindlichsten Schwachstellen
Die größte Gefahr liegt in sogenannten geomagnetisch induzierten Strömen. Sie können Transformatoren überlasten, die in vielen Ländern schwer zu ersetzen sind und lange Lieferzeiten haben. Gleichzeitig sind Satelliten exponiert: Bahnstörungen, Strahlenschäden in Elektronik und Ausfälle von Kommunikationssystemen gehören zu den erwartbaren Folgen.
Ohne diese Infrastruktur geraten ganze Branchen ins Stop-and-Go – Airlines, Handel, Schifffahrt, digitale Plattformen, aber auch staatliche Dienste, die von präzisen Zeit- und Navigationssignalen abhängen.
Versicherer tappen im Nebel – und bleiben auffallend leise
Zwar existieren Produkte für Energie-, Luftfahrt-, Transport- und Agrarrisiken. Doch ein globaler Sonnensturm wäre größer als jede bekannte Schadensserie. Swiss Re und Munich Re äußerten sich auf Anfrage nicht dazu, wie sie ein solches Megarisiko managen würden. Dass sie schweigen, zeigt vor allem eines: Es gibt keine etablierten Modelle, die ein weltweites, gleichzeitiges Infrastrukturrisiko realistisch abbilden.
Die Branche weiß, dass sie nur begrenzt Abdeckung leisten kann. Der Rest fiele auf Staaten – und auf Unternehmen, deren Notfallpläne meist von regionalen, nicht von planetaren Ereignissen ausgehen.
Die entscheidende Frage bleibt unbeantwortet
Wie wahrscheinlich ein schwerer Sturm ist, kann derzeit niemand sagen. Der entscheidende Ausbruch hat noch nicht stattgefunden. Ob sich die Energie entlädt oder verpufft, entscheidet sich erst, wenn die Flecken rotieren und ihren nächsten Aktivitätszyklus durchlaufen.
Bis dahin bleibt die Welt in Erwartung eines Ereignisses, das vielleicht ausbleibt – oder das digitale Zeitalter schlagartig an seine Grenzen führt.


