Neuer Ansatz im Kampf gegen das Vergessen – natürliches Molekül stellt die Erinnerungen bei Alzheimer wieder her
Ein internationales Forscher:innenteam hat einen bislang wenig beachteten Schutzmechanismus im Gehirn entdeckt, der neue Perspektiven für die Alzheimer-Forschung eröffnet. Die Ergebnisse zeigen, dass ein natürliches Stoffwechselmolekül nicht nur den Energiestoffwechsel der Zellen beeinflusst, sondern auch in die Steuerung genetischer Prozesse eingreift. In Experimenten mit Tiermodellen ließen sich dadurch Gedächtnisleistungen wiederherstellen – ein Befund, der das Verständnis der Krankheit entscheidend erweitern könnte. Noch ist der Weg zu einer Anwendung beim Menschen weit, doch die Studie liefert wichtige Hinweise auf einen neuen therapeutischen Ansatz.

Ein Molekül beeinflusst die Gedächtnisleistung
Die oxidierte Form des Moleküls Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD⁺) spielt eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung und Reparaturprozessen in Zellen. In der aktuellen Studie stellten Forscher:innen fest, dass ein Rückgang von NAD⁺ im Gehirn von Alzheimer-Modellen nicht nur mit Energieverlust, sondern auch mit Störungen der RNA-Spleißung verbunden ist – einem Mechanismus, mit dem Zellen aus einem Gen unterschiedliche Proteinvarianten erzeugen.
Erhöhten die Forschenden den NAD⁺-Spiegel in Wurm- und Mausmodellen, verringerten sich diese Spleißfehler. Gleichzeitig wurden zahlreiche Gene aktiviert, die die neuronale Gesundheit unterstützen, und Lern- sowie Gedächtnisleistungen verbesserten sich. Eine Schlüsselrolle spielte dabei ein Protein namens EVA1C. Wurde es deaktiviert, verschwanden die positiven Effekte trotz erhöhter NAD⁺-Werte. „Notably, we found when the EVA1C gene was knocked down, these benefits were lost, confirming that EVA1C is essential for NAD⁺-mediated neuroprotection“, erklärte Mitautor Evandro Fei Fang-Stavem.
Auch in Gehirnproben von Menschen mit beginnender Alzheimer-Erkrankung fanden sich erniedrigte EVA1C-Werte, besonders in Regionen, die früh von Gedächtnisstörungen betroffen sind. Das deutet darauf hin, dass NAD⁺ über die Regulierung der RNA-Spleißung zur Stabilität von Nervenzellen beitragen könnte.
Hoffnung für Patient:innen mit Alzeimer?
Die Entdeckung der NAD⁺-EVA1C-Achse erweitert das Verständnis der Alzheimer-Erkrankung, das bislang vor allem auf die Ablagerung von Tau-Proteinen und Amyloid-Beta fokussiert war. Die aktuelle Untersuchung zeigt, dass die giftige Form des Tau-Proteins Spleißfehler auslöst, die durch eine Erhöhung von NAD⁺ teilweise rückgängig gemacht werden konnten.
Für künftige Therapien könnte dies bedeuten, dass nicht nur pathologische Eiweißablagerungen im Fokus stehen sollten, sondern auch die Stärkung zellulärer Reparaturmechanismen. „We propose that maintaining NAD⁺ levels could help preserve neuronal identity and delay cognitive decline“, schreiben die Autor:innen. Kombinationstherapien, die den NAD⁺-Stoffwechsel unterstützen, könnten langfristig neue Behandlungswege eröffnen – auch über die Alzheimer-Erkrankung hinaus.
Die Erprobung der Therapie an Menschen steht noch aus – und gestaltet sich schwierig
Trotz der vielversprechenden Befunde handelt es sich bislang um Ergebnisse aus Tiermodellen, Zellkulturen und Gewebeproben. Klinische Studien mit menschlichen Proband:innen stehen noch aus. Der Schritt von experimentellen Befunden im Labor zu einer wirksamen Behandlung beim Menschen ist in der Alzheimer-Forschung traditionell schwierig. Unklar ist zudem, wie sich NAD⁺-Spiegel dauerhaft und sicher erhöhen lassen.
Die RNA-Spleißung ist ein komplexer Prozess, und Eingriffe in dieses System könnten unbeabsichtigte Folgen haben. Zwar fanden die Forscher:innen in frühen Krankheitsstadien erniedrigte EVA1C-Werte, doch ob deren Wiederherstellung durch NAD⁺-Modulation tatsächlich eine funktionelle Verbesserung bewirkt, muss erst in klinischen Studien überprüft werden.
Zukünftige Forschung wird sich auf NAD⁺-Vorläuferstoffe wie Nicotinamid-Ribosid oder Nicotinamid-Mononukleotid konzentrieren, um Wirksamkeit und Sicherheit zu prüfen. Außerdem gilt es zu klären, wie sich der Mechanismus mit bestehenden Alzheimer-Therapien kombinieren lässt.
Die Studie eröffnet damit einen neuen Blick auf die molekularen Prozesse der Alzheimer-Erkrankung. Sie zeigt, dass die Wiederherstellung des zellulären Gleichgewichts über den NAD⁺-Stoffwechsel ein möglicher Weg sein könnte, neuronale Funktionen zu stabilisieren und den Gedächtnisverlust zu verlangsamen.
via Universität Oslo via EurekAlert!

