Analyse: Gemeinsam aus der Krise
Nur etwa 40 Kilometer von Georgien entfernt, das vor einem Jahr Schauplatz des Krieges zwischen Russland und dem Kaukasusland war, spricht Merkel mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew über die Wirtschaftskrise, Morde an Menschenrechtlern und internationale Krisenherde. Der Besuch in der Sommerresidenz des Präsidenten ist kein bloßer Austausch von Nettigkeiten, kein leichtes Sommerprogramm. Und so sind die Gesichter bei der anschließenden Pressekonferenz am Freitag auch ernst.
Mitten in der Krise versuchen beide, wirtschaftliche Probleme mit gegenseitiger Hilfe zu lösen oder zumindest zu lindern. Denn beide Seiten profitieren von der strategischen Partnerschaft. «Wir sollten die Chancen aus der Krise auch nutzen, auch gerade für die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen», sagt Merkel. Medwedew entgegnet: «Russland und Deutschland sind an gegenseitigen Investitionen interessiert.» Das unterstreichen Kanzlerin und Präsident durch das Interesse, dass Zulieferer Magna mit der russischen Sberbank bei Opel zum Zug kommen soll und durch den Einstieg eines russischen Investors bei den Wadan-Werften an der Ostsee.
Merkels Russland-Besuch im deutschen Wahlkampf kommentierten Medien in Moskau als Werbung um russische Investitionen am Standort Deutschland. «Merkel kommt wegen Geld zu uns», schrieb die russische Wirtschaftszeitung «Wedomosti». So stehe den Wadan-Werften das Wasser bis zum Hals. Aber auch Russland könne profitieren von der Zusammenarbeit - vor allem im Hochtechnologiebereich, wo die Russen Nachholbedarf hätten. «An der Mikroelektronik entwickelt sich (russisches) Makrointeresse», schrieb die Zeitung «Kommersant».
Doch es geht um mehr. Auch politisch sind Deutschland und Russland aufeinander angewiesen. Vor einem Jahr forderte Merkel: «Wir werden keine Lösung finden, wenn wir nicht miteinander reden.» Damals hatte Russland die beiden von Georgien abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien anerkannt. Der russische Präsident verfolgt zwar eigene Interessen, aber er weiß in Merkel eine politische Partnerin, die er halten will. Auch wenn sie anders über eine NATO-Anbindung von Georgien und der Ukraine denkt als er. Es geht nur gemeinsam - beim G20-Gipfel in den USA, beim Umgang mit dem Atomprogramm des Iran oder beim Nahost-Konflikt.
«Ich möchte mich bedanken für die Gastfreundschaft, die ich hier empfangen habe in Sotschi», sagt Merkel. Das ist keine diplomatische Phrase. Sie lobt die «offene, konstruktive Atmosphäre». Dabei hilft der freundschaftliche, aber auch respektvolle Umgang der beiden. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem jetzigen Ministerpräsident Wladimir Putin, ist Medwedew gerader heraus und weniger kampfeslustig im Gespräch. Die Kanzlerin soll auch seinen Humor schätzen.
Als sich Merkel und Medwedew in der Sommerresidenz am Schwarzen Meer begrüßen, sieht es fast aus, als kommen alte Freunde zusammen. Das Gespräch scheint wie ein Déjà-vu. Denn nur vier Wochen zuvor haben sich beide gesehen, als Medwedew zu Gast im Schloss Schleißheim bei München war. Damals überschattete der Mord an der russischen Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa das Treffen. Vor wenigen Tagen wurden dann in Tschetschenien die Bürgerrechtlerin Sarema Sadulajewa und ihr Mann umgebracht. Amnesty International wirft Medwedew vor, zu wenig gegen die Morde zu tun. «Es hat sich gezeigt, dass in der Tat nichts passiert», sagt die Amnesty-Expertin Imke Dierßen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), spricht von Morden «fast im Wochenrhythmus».
Merkel fordert von Medwedew, dass Taten folgen müssen. «Ich weiß, dass dem russischen Präsidenten Fragen der Menschenrechte sehr am Herzen liegen.» Aber es müsse alles unternommen werden, damit die Täter zur Rechtenschaft gezogen würden. «Der russische Präsident Medwedew hat mir noch einmal versichert, dass das von russischer Seite auch geschehen wird.»
Das ist die Frage: Die Wirtschaftsbeziehungen werden enger, doch ändert sich auch die Menschenrechtslage in Russland und dem Nordkaukasus? Medwedew gibt sich entschlossen: «Der tschetschenische Präsident muss alles daran setzen, um diese Mörder zu suchen und sie vor Gericht zu stellen.» Ob er genug Macht hat, um das umzusetzen, ist eine andere Frage.