Analyse: Der dreifach gefesselte Seehofer
Großes Interesse an einem gebändigten Seehofer hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) - die reichlich Erfahrung im Kaltstellen mächtiger Männer hat. Und Fesseln anlegen will ihm auch die FDP, mit der Seehofer künftig sowohl in München als auch in Berlin regieren muss. Bei der Wahlanalyse in der Münchner CSU-Landesleitung herrscht am Montag Katerstimmung. Kein Einziger in der Runde greift Seehofer direkt an. Und trotzdem muss sich der Vorsitzende gegen heftige Kritik erwehren.
Seehofer sieht müde und übernächtigt aus, als er am Morgen vor der CSU-Landesleitung eintrifft. «Ich habe so kurz geschlafen, dass ich keine Zeit für Alpträume hatte», sagt er. 42,6 Prozent nur noch für die CSU, es ist das schlechteste Ergebnis seit 1949 bei einer bundesweiten Wahl. Früher war die CSU Lokomotive - dieses Mal haben die Bayern die ganze Union nach unten gezogen. Kanzlerin Merkel redet wenig später in Berlin Tacheles - aber wie alle an diesem Tag nur indirekt: «Wir werden (...) mehr Union haben in der neuen Regierung», sagt sie - eine Drohung ebenso wie ein Versprechen.
Bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP will Merkel bayerische Alleingänge verhindern. Deshalb kündigt sie an, alle Positionen mit Seehofer abzustimmen, bevor mit der FDP gesprochen wird. «Da verhandelt die Union mit der FDP», sagt sie. «Nur damit völlig klar ist, dass da nicht irgendwie Dreier-Gespräche stattfinden. Denn wir sind als Union nur stark.»
Das ist ein verstecktes Machtwort - die dringende Order an Seehofer, nicht querzuschießen. Denn der hat eine Garantie abgegeben, dass er die CSU-Sonderforderungen durchsetzt, wie etwa schnelle Steuersenkungen ab 2011. Merkel will offensichtlich verhindern, dass CSU und FDP je nach Verhandlungspunkt gemeinsame Sache gegen die CDU machen.
In München muss die CSU-Spitze einen eigenartigen Spagat vollbringen: Einerseits wollen die Parteifreunde Seehofer nicht schwächen, weil das auch die Position der CSU bei den Koalitionsverhandlungen schwächen würde. «Wir können nicht jedes Jahr den Vorsitzenden austauschen», sagt Präside Stefan Müller.
Die CSU-Spitze will zwar derzeit keinen anderen als Seehofer - aber einen anderen Seehofer. Teamfähig soll er werden, nicht mehr alles allein entscheiden, nicht mehr sprunghaft sein. Fast der gesamte Vorstand hält Seehofers wochenlange Attacken gegen den Wunschpartner FDP für einen Fehler: «Der Crash-Kurs ist nicht angekommen und hat sich nicht ausgezahlt», sagt Hartmut Koschyk, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. Der niederbayerische CSU-Chef Manfred Weber fordert bereits eine «federführende Rolle» bei den Koalitionsverhandlungen für Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg - was auf eine Schwächung Seehofers hinauslaufen würde.
Die Bundestagswahl hat neben dem schlechten Ergebnis noch eine zweite Schreckensbotschaft parat: Die Leute glauben der CSU nicht mehr. Bei einer ARD-Umfrage am Wahlabend landete die CSU bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit mit 25 Prozent abgeschlagen auf dem letzten Platz. «Das ist Alarmzustand», sagt Alois Glück, der Chef der CSU-Grundsatzkommission. Und auch dieser Punkt wird Seehofer ans Jackett geheftet, ohne dass ihn jemand direkt attackiert. «Man kann nicht gleichzeitig links und rechts blinken und meinen, dann fährt man geradeaus», sagt Hans Michelbach, der Vorsitzende der CSU- Mittelstandsunion.