Analyse: Bilanz des Prager EU-Ratsvorsitzes
Von einer «vergeudeten Chance» sprach der Ex-Ministerpräsident Mirek Topolanek in diesen Tagen resümierend, sein Europaminister Alexandr Vondra meinte: «Die großen Krisen haben wir ganz gut gemeistert, die Innenpolitik hat uns scheitern lassen.»
Holpriger Beginn mit Gas und Gaza
Rückblende: Als Tschechien zum 1. Januar den EU-Vorsitz von Frankreich übernahm, war US-Präsident Barack Obama schon gewählt, aber noch nicht im Amt. Am Neujahrstag brach der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine aus, der Teile der EU wenig später in den Energienotstand zwang. Erst nach 20 Tagen «neutraler» Vermittlung von Topolanek und der EU-Kommission in Kiew und Moskau floss das Gas wieder. Um die ukrainischen Dollar-Schulden muss sich nun der schwedische EU-Vorsitz kümmern.
Ebenfalls im Januar kam es im Gazastreifen zur israelischen Offensive. EU-Friedensmissionen blieben ohne direkte Erfolge. Die Prager EU-Sprecher schienen überrascht, zu welchen Themen sie nun Auskunft und Kommentar geben sollten - der Begriff «Defensivaktion» für den Einsatz israelischer Bodentruppen sorgte für lautstarke Proteste in Nahost. Topolanek und Außenminister Karel Schwarzenberg mussten heftig zurückrudern.
Im EU-Hauptquartier Brüssel fiel der erste tschechische Aufreger auf den 13. Januar. Es wurde bekannt, dass der als provokativ bekannte Prager Künstler David Cerny mit seiner Großinstallation «Entropa» ganz Europa gefoppt hat. Der Katalog war längst gedruckt, die ersten Rezensionen erschienen - doch anstatt von 27 zitierten Künstlern aus allen Mitgliedsländern waren nur Cerny und seine Mitarbeiter am Werk gewesen. Die anderen Biographien hatte Cerny schlichtweg erfunden, mehrere Staaten protestieren. Die Installation im Ministerratsgebäude blieb trotzdem hängen und entwickelte sich zum Publikumsmagneten.
Regierungswechsel und Affären zur Halbzeit
Doch als die Regierung Topolanek am 24. März durch ein Misstrauensvotum der linken Opposition überraschend stürzte, entschloss sich Cerny als politischer Künstler, seine EU-Vision in Brüssel abzubauen. «Zuviele Kommunisten», begründete er die Abneigung gegen die «offiziell» parteilose Übergangsregierung. Jan Fischer kam nach Topolanek an die Macht, als Leiter der staatlichen Statistikbehörde war er allenfalls Spezialisten ein Begriff.
Ohne politisches Mandat trat die EU-Ratspräsidentschaft von da an auf der Stelle. Ambitionierte Pläne des grünen Umweltminister Martin Bursik für den Weltklimagipfel in Kopenhagen verschwanden ebenso in der Versenkung wie die von Innenminister und Topolanek-Intimus Ivan Langer angestoßenen Projekte zum Internet-Kinderschutz.
Schon abgewählt, aber noch geschäftsführend im Amt nannte Topolanek im Europaparlament Obamas-Konjunkturpaket den «Weg in die Hölle». Im Juni bekam der machtbewusste konservative Politiker, der gute Aussichten auf eine Wiederwahl im Herbst hat, noch einmal internationale Schlagzeilen durch seine Männerfreundschaft zum italienischen Premier Silvio Berlusconi und damit verbundene pikante Fotos, die Topolanek fast nackt zeigten.
Zufriedenstellendes Finale in Brüssel
In Prag zog in der zweiten Hälfte des EU-Vorsitzes als einzig verbliebener Vollblutpolitiker in der tschechischen Führung Präsident Vaclav Klaus mehr und mehr die Macht an sich. Er empfing US-Präsident Obama Anfang Mai in Prag und leitete ein halbes Dutzend EU-Gipfel mit Drittstaaten. Gleichzeitig nutzte der bekannte EU-Skeptiker beinahe jede Gelegenheit, um gegen den Lissabon-Vertrag der EU («Werk von Bürokraten») Stellung zu beziehen und damit Pro-Europäer zu verärgern.
Dennoch gelang es während der Präsidentschaft Fischers beim letzten EU-Gipfel in Brüssel unter tschechischem Vorsitz, das wohl wichtigstes EU-Vorhaben wiederzubeleben. Durch Zugeständnisse an Irland scheint das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags wieder greifbar nah. Auch in der Frage der künftigen EU-Kommission gab es mit der erneuten Nominierung von Kommissionspräsident José Manuel Barroso einen vorentscheidenden Durchbruch.
«Man muss kein Statistiker sein, um zu sagen, dass wir zu 100 Prozent erfolgreich waren», sagte Fischer in Brüssel zum Schluss. Und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bemerkte, mit gewisser Süffisanz: «Fischer hat seine Arbeit sehr gut erledigt, in einem spannungsfreien Klima.(...) Was davor war, habe ich schon wieder vergessen. Die tschechische Ratspräsidentschaft endet gut.» Ab Mittwoch schaut die EU nach Stockholm auf den schwedischen Vorsitz.