Zinswende: Eine Achterbahnfahrt der Erwartungen im US-Finanzmarkt
In einer Serie von überraschenden Wendungen haben sich die Erwartungen der Finanzmärkte bezüglich der Zinspolitik der US-Notenbank markant verändert. Noch Ende letzten Jahres rechneten Marktteilnehmer mit sechs Zinssenkungen in den USA für das Jahr 2024. Das anhaltend hohe Inflationsniveau führte jedoch zu einem Umdenken: Händler näherten sich vorsichtig der Voraussage der US-Notenbank an, die nur drei Zinssenkungen prognostizierte. Doch die Skepsis einiger Marktteilnehmer gegenüber mehreren Zinssenkungen im laufenden Jahr wich zusehends einer wachsenden Erwartung von Null bis zwei Zinssenkungen – eine vollständige Stagnation der Zinssätze wird sogar immer wahrscheinlicher.
Die Geldpolitik des Federal Reserve-Vorsitzenden Jerome Powell hat ebenfalls einen Kurswechsel erlebt. Nach einer optimistischeren Einschätzung, dass Zinssenkungen bevorstehen könnten, hat er nun anerkannt, dass zur Inflationsbekämpfung eventuell ein höheres Zinsniveau erforderlich sein könnte. Diese Neuausrichtung führte unter Investoren zu einem steigenden Interesse an risikobehafteteren Anlagen; der S&P 500 etwa verzeichnete innerhalb von vier Monaten bis April einen Anstieg von rund 15 Prozent.
Trotz des jüngsten Abschwungs der Aktienkurse infolge aktualisierter Zinserwartungen könnte die Gesamtauswirkung auf Haushalte und Unternehmen begrenzt sein. Viele haben sich bereits niedrigere Festzinsen gesichert, was zur Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft beigetragen hat. Ende 2023 besaßen rund 70 Prozent der Hypothekeninhaber Zinsen, die mehr als drei Prozentpunkte unter dem Marktzins lagen.
Außerhalb der USA hat der Wechsel in den Erwartungen der Zinsentwicklung ebenfalls bedeutende Effekte. Die Aufwertung des US-Dollars belastet die Europäische Zentralbank und die Bank of England, die ihrerseits auf potenzielle Zinssenkungen hingewiesen haben, und erschwert ihre Geldpolitik. Asiatische Währungen erlebten signifikante Wertverluste, der japanische Yen erreichte ein Rekordtief seit 1990.
Die Inflationsrate in den USA verharrt auf einem ähnlichen Niveau wie im Dezember, allerdings sind die Anzeichen für ein Ende des Disinflationsprozesses noch nicht eindeutig. Powell steht somit vor dem Dilemma, dass das Festhalten an den hohen Zinsen die Stabilität der US-Wirtschaft gefährden könnte, während eine konkrete Kommunikation über die geldpolitische Strategie ebenfalls in heiklen Zeiten schwerfällt. Geopolitische Spannungen, wie die Vergeltungsangriffe Israels auf den Iran in der vergangenen Nacht, verstärken die Unsicherheit und die Volatilität der Märkte. Anleger sind gut beraten, Vorsicht walten zu lassen, da sich die Zins-Erzählungen gleichermaßen noch einmal ändern könnten. (eulerpool-AFX)