Vor dem Hochwasser: Leben mit der Angst
Das Wasser drückt, doch die Geschäfte laufen. Nur ein schmaler Grünstreifen und eine Straße trennen den großen Basar in Slubice, der polnischen Nachbarstadt von Frankfurt, vom Oderdeich. Im Fluss schwillt das Wasser unaufhörlich an, hinter den mit Sandsäcken gesicherten Verkaufsständen drückt sichtbar das Grundwasser nach oben. Doch die hauptsächlich deutschen Kunden berührt das nicht. «Wat kostet die Stange?», fragt ein Kunde aus Berlin den Zigarettenhändler Wojtek Graczyk. Der versucht, schnell noch ein Geschäft zu machen: «Neunzehn Euro! Nu gut, achtzehnfunfzisch.»
Seit Bekanntwerden des drohenden Hochwassers, habe der Kundenstrom etwas nachgelassen, erklärt Graczyk. Doch viele Händler wie er harren noch aus. Natürlich habe er Angst vor dem Wasser, «wie alle hier», sagt er. Seinen Stand wollte er aber erst am Mittwochabend räumen.
Slubice liegt etwa zwei Meter niedriger als das gut 250 Meter entfernte Frankfurt am anderen Ufer der Oder. Bürgermeister Ryszard Bodziacki appellierte bereits am Dienstag an die rund 17 000 Einwohner, Slubice zum Wochenende zu verlassen. Ansteigendes Grundwasser drücke die Kanalisation nach oben, befürchtete er. Das Krankenhaus wurde am Mittwoch geräumt. Schulen und Kindergärten werden Ende der Woche geschlossen. Noch gebe es keine Anzeichen für eine Tragödie. «Man kann die Gefahr nicht wirklich einschätzen», sagt der Bürgermeister.
«Wir kaufen Konserven und Wasser und bleiben in der Stadt», berichtet die Slubicer Studentin Paulina Gospodarek. «Meine Freundin und ihr Sohn sind bereits zu Verwandten gefahren», sagt die 23- Jährige. Ihre Mutter, die auf dem Basar mit Süßigkeiten handle, habe die Ware bereits in Sicherheit gebracht. Auch sie habe Angst. «Aber ich hoffe, alles bleibt okay», sagt die Studentin.
Weniger optimistisch sind die Bewohner des Buschmühlenweges in Frankfurt. Die Straße hinter den bereits unter Wasser stehenden Oderwiesen war bereits 1997 wochenlang überflutet. «Ich bin weiß Gott nicht gläubig. Aber ich bete mehrmals täglich», sagt die Rentnerin Renate Ullrich, während sie mit ihren Freundinnen aus der Sportgruppe Sandsäcke füllt. Die Stelle, an der ihr Haus steht, sei eine der tiefsten.
Der Keller ist bereits ausgeräumt, Fenster abgedichtet und Gummihosen, wie sie Angler tragen, hängen bereit. «Die sind noch von vor 13 Jahren», erzählt Ullrich. Damals seien sie nur noch über Stege und per Schlauchboot zu ihren Häusern gekommen. «Wir haben uns gefühlt wie in Venedig.»
Strom, Wasser und Toilettenbenutzung - daran sei in den ersten Tagen des wochenlangen Hochwassers kaum zu denken gewesen. Später gab es immerhin Dixi-Toiletten und Notstromleitungen. Auch wenn die Anwohner diesmal rechtzeitig gewarnt worden seien, Sandsäcke zur Verfügung stünden und die Gefahr als geringer eingeschätzt wird: die Angst bleibt. «Das lange Warten ist einfach so schrecklich», sagt die Rentnerin, die schon jetzt schlaflose Nächte hat. Ans Wegziehen habe sie dennoch nie gedacht. «Wohin denn auch?»