Politische Einstellungen

Studie: Antidemokratische Einstellungen verfestigt

06. November 2025, 11:21 Uhr · Quelle: dpa
Neue «Mitte-Studie»
Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Generell stellen die Wissenschaftler «Gewöhnungseffekte und Normalisierung» bei rechtsextremen Einstellungen fest. (Symbolbild)
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass mehr als jeder Siebte diktatorische Verhältnisse in Deutschland gutheißt. Gleichzeitig nimmt das Misstrauen gegen demokratische Institutionen zu.

Berlin (dpa) - Mehr als jede und jeder Siebte würde einer Studie zufolge Verhältnisse wie in einer Diktatur in Deutschland befürworten. Sogar rund jede fünfte Person zeigt sich offen für extreme und nationalistische Positionen. Ein klar rechtsextremes Weltbild teilen laut der neuen «Mitte-Studie» der Universität Bielefeld und der Friedrich-Ebert-Stiftung 3,3 Prozent. Abwertende Meinungen über Asylbewerber und Langzeitarbeitslose seien für viele selbstverständlich geworden.

Allerdings ist nach den neuen Umfragedaten der Anteil der Menschen mit klar rechtsextremen Einstellungen im Vergleich zur Vorgängerstudie von vor zwei Jahren damit von acht um 4,7 Prozentpunkte zurückgegangen. Doch im längeren Zeitvergleich sei das Niveau konstant: Seit 2014 habe es stets zwischen zwei und drei Prozent Rechtsextreme gegeben. 

Zu so einem rechtsextremen Weltbild gehört dabei eine Befürwortung einer Diktatur, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, eine völkisch-nationalistische Ideologie, Fremdenfeindlichkeit oder Sozialdarwinismus, also eine Unterscheidung zwischen Höher- und Minderwertigen, wie der Studienautor Andreas Zick erläuterte. «Wir reden hier von Menschen, die 18 Aussagen eindeutig zustimmen.» Konstant bleibe ein Graubereich mit Teilzustimmungen mit 21 Prozent. 

Nach eigener Einschätzung verorteten 57 Prozent der Befragten ihre politischen Ansichten «genau in der Mitte» – eine leicht steigende Tendenz. «Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist demokratisch eingestellt und äußert Sorgen wegen des zunehmenden Rechtsextremismus», so die Autoren um den Bielefelder Konfliktforscher. Für die laut der Universität repräsentative Umfrage führten die Umfrageinstitute Uzbonn und Nhi² vom 30. Mai bis zum 4. Juli 2.001 Interviews mit 18- bis 94-Jährigen durch. Auftraggeber ist die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nationalistischer Graubereich

Rund 20 Prozent äußern sich ambivalent gegenüber rechtsextremen und nationalchauvinistischen Aussagen, stimmen also weder zu noch lehnen sie ab. «Dieser Graubereich», so die Experten, «hat sich gegenüber dem Vorjahr gefestigt und zeigt eine Offenheit für antidemokratische Orientierungen». 

Zustimmung findet bei fast einem Viertel der Befragten der Satz: «Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.» 30 Prozent finden dies teils/teils. 15 Prozent bejahen voll oder überwiegend: «Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.» Zehn Prozent finden dies teils/teils, rund 75 Prozent lehnen die Aussage ab. Ein Viertel findet: «Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.»

Antidemokratische Einstellungen

«Das Demokratie-Misstrauen ist sehr deutlich angestiegen», sagte Zick. Beim Großteil der Misstrauenden sei dies eine umfassende Einstellung. Kein Vertrauen in die demokratischen Institutionen hätten zwei von fünf Bundesbürgerinnen und -bürgern, in demokratische Wahlen rund 18 Prozent – dreimal so viel wie vor vier Jahren. Nur 52 Prozent der Befragten stimmt zu, dass die deutsche Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniere. Ein Viertel (24 Prozent) verneint dies – ein Rekordwert.

Einhergehen diese Zweifel laut der Analyse mit Einstellungen, die «dem liberalen Geist des Grundgesetzes» widersprechen: Zwar meinen laut der Studie fast 88 Prozent, in einer Demokratie solle die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle stehen. Doch 34 Prozent sind laut Umfrage der Ansicht: «Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren.» Ein Viertel meint, es werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen. 7,5 Prozent billigten körperliche Gewalt gegen «Fremde».

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Generell stellen die Wissenschaftler «Gewöhnungseffekte und Normalisierung» bei rechtsextremen Einstellungen fest. Abwertende Ansichten gegenüber Asylsuchenden haben mehr als 30, gegenüber Langzeitarbeitslosen sogar 36 und gegenüber Transmenschen 19 Prozent. Ein Drittel unterstellt Geflüchteten Sozialmissbrauch. Dass für Menschen mit Behinderung in Deutschland teils «zu viel Aufwand betrieben» werde, meinen acht Prozent. 

Und wie verbreitet ist Antisemitismus? Die Forscher fassen die Zustimmungswerte als stabil zusammen. 5,5 Prozent meinen eher oder voll, Juden hätten eine Mitschuld an ihren Verfolgungen. Knapp 13 Prozent meinen dies teils/teils. Aufgrund des Nahostkonflikts geben 17 Prozent an, sie könnten «gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat».

Die Mehrheit tickt anders

Fast vier von fünf Befragten bezeichnen sich grundsätzlich als überzeugte Demokratinnen und Demokraten – sechs Punkte mehr als vier Jahre zuvor. Drei Viertel lehnen rechtsextreme Einstellungen ab, 70 Prozent empfinden den zunehmenden Rechtsextremismus als Bedrohung für Deutschland. 88 Prozent meinen, Würde und Gleichheit solle an erster Stelle stehen. 

Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, der frühere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, forderte, Verantwortungsträger und Zivilgesellschaft müssten gegenhalten. «Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, von lokaler über Länderebene bis hin zur Bundesregierung und darüber hinaus müssen zeigen, dass sie mit den Mitteln der Demokratie die bestehenden Herausforderungen meistern und das Alltagsleben der Menschen spürbar verbessern können.»

Soziale und ideologische Hintergründe

Ein hoher Schulabschluss geht laut der Studie mit deutlich geringerer Zustimmung zu antidemokratischen Einstellungen einher. Männer befürworten teils deutlich häufiger als Frauen Rechtsextremismus und Gewalt. Im Osten gebe es mehr Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Im Westen seien Sozialdarwinismus und Klassismus, also Herabwürdigung aufgrund sozialer Herkunft, weiter verbreitet.

Ein Viertel der Befragten hängt laut der Studie einer «libertär-autoritären Ideologie» an. Motto: Jeder und jede solle in erster Linie auf sich selbst achten. Diese Gruppe neige deutlich stärker zu einem rechtsextremen Weltbild und billige stärker politische Gewalt. Befragte mit dieser Ideologie stimmten zu 20 Prozent der Aussage zu: «Gegen politische Gegner muss man auch mal Gewalt einsetzen, um nicht den Kürzeren zu ziehen.»

Klima im Abseits?

Der Anteil derer, die den Klimawandel als große Bedrohung sehen, ist von früher rund 70 gemäß der Studie auf 56 Prozent gesunken. Entsprechend sinke der Anteil in der Bevölkerung, die eine «klar klimaprogressive Haltung» vertritt, auf nur noch gut die Hälfte. Klimapolitisch aus Sicht der Forscher rückschrittliche Haltungen sind dabei laut Studie oft mit Distanz zur Demokratie verbunden.

Extremismus / Gesellschaft / Wissenschaft / Politik / Deutschland
06.11.2025 · 11:21 Uhr
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