Politische Erschütterungen in der Türkei: Imamoglu und die Fragen der Gerechtigkeit
Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu bleibt die Kritik an der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ungebrochen. Studierende verschiedener Universitäten im Nato-Land Türkei fordern weiterhin lautstark den Rücktritt des Präsidenten von den Straßen aus. Der politische Druck wird zusätzlich durch Aufrufe der CHP-Partei, der Imamoglu angehört, zu abendlichen Protestaktionen verstärkt. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich besorgt und bezeichnete die Verhaftung als ein 'sehr, sehr schlechtes Zeichen'. Die demokratische Konkurrenz zwischen Regierung und Opposition dürfe nicht durch rechtliche Schachzüge behindert werden, so Scholz.
Imamoglu, der am Mittwoch zusammen mit vielen anderen im Zuge seiner bevorstehenden Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei festgenommen wurde, sieht sich schweren Vorwürfen von Terrorismus und Korruption ausgesetzt. Dies ruft bei Oppositionellen und Beobachtern den Verdacht hervor, die Regierung wolle mit der Verhaftung einen politischen Gegner aus dem Weg räumen.
Ein weiterer Grund zur Sorge ist die drohende Absetzung Imamoglus. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldet die Festnahme von mindestens 87 weiteren Personen, insgesamt wird gegen 106 Individuen ermittelt. Dazu zählen auch zwei Bürgermeister aus Istanbul sowie Mitarbeiter, die Imamoglu nahestehen. Die Ermittlungen sind weitgehend geheim.
Im Mittelpunkt der Terrorermittlungen steht die Kooperation zwischen CHP und der prokurdischen Demokratischen Partei bei Wahlen. Es wird vermutet, dass die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK darüber versucht haben soll, Einfluss zu gewinnen, so die Generalstaatsanwaltschaft laut Anadolu.
Özgür Özel, der Vorsitzende der CHP, verurteilte die Verhaftung Imamoglus als einen 'zivilen Putsch'. Die Regierungspartei Erdogans wiederum lehnt diesen Vorwurf als 'Gipfel politischer Unvernunft' ab. Trotz dieser Auseinandersetzungen fordert Imamoglu über X die Richter und Staatsanwälte zu einem entschiedenen Eintreten für das Justizsystem auf. Ob Imamoglu in Untersuchungshaft kommt, bleibt unklar, könnte jedoch zur Aberkennung seines Amtes führen, warnt sein Anwalt Kemal Polat.
Während in der Türkei zahlreiche Bürgermeister aufgrund von Terrorermittlungen ihres Amtes enthoben wurden und durch Zwangsverwalter ersetzt worden sind, wäre die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Stadt Istanbul ein beispielloser Vorfall. Imamoglus Wahlsiege 2019 und erneut 2024 in Istanbul gelten als bedeutende Niederlagen für die AK-Partei Erdogans, die Istanbul lange regiert hatte.
Ungeachtet der Verhaftung plant die CHP, Imamoglu als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen und ruft die Bevölkerung zur symbolischen Abstimmung auf. Über das ganze Land verteilt gibt es zusätzlich zu den Wahlboxen der Parteimitglieder symbolische 'Solidaritätswahlboxen'.
Die Entwicklungen in den sozialen Medien tragen ebenfalls zur Spannungen bereits weiter bei. Ermittlungen gegen Nutzer wegen 'provokativer Beiträge' laufen, meldet Innenminister Ali Yerlikaya. Einschränkungen der Plattformen erschweren zudem den Austausch in den sozialen Netzwerken.