Porträt

Nobelpreisträger Krasznahorkai, ein «Meister der Apokalypse»

09. Oktober 2025, 15:13 Uhr · Quelle: dpa
László Krasznahorkai
Foto: Gyula Czimbal/MTI/epa/dpa
Der Ungar László Krasznahorkai gewinnnt den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. (Archivbild)
Der ungarische Schriftsteller László Krasznahorkai erhielt den Nobelpreis für seine apokalyptischen Erzählungen. Seine Werke verbinden dunkle Themen mit subtiler Komik und kritischer Tiefe.

Budapest (dpa) - Gesellschaftlicher Verfall, menschliche Niedertracht, wahnhafte Persönlichkeiten sind die Themenfelder, die das literarische Werk des Ungarn László Krasznahorkai durchziehen. Als einen «zeitgenössischen ungarischen Meister der Apokalypse» bezeichnete ihn die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag (1933-2004). Nun erhielt Krasznahorkai (71) den Nobelpreis für Literatur. 

Er ist der zweite Ungar nach Imre Kertész (1929-2016), der die höchste literarische Auszeichnung der Welt im Jahr 2002 entgegennahm. Zu den bekanntesten Werken Krasznahorkais gehören «Satanstango» und «Melancholie des Widerstands». In Deutschland erscheinen seine Bücher bei S. Fischer, zuletzt kam dort 2023 ein Erzählband heraus. Sein 2021 erschienener Roman «Herscht 07769» spielt in Thüringen.

Ein Preisträger mit finsterer Sicht und Humor

Die Kritik würdigt an Krasznahorkais Werk die stilistische Brillianz, die feine Ironie, den subtilen Bau seiner Geschichten. Er konstruiert lange Sätze, die sich oft über viele Seiten oder sogar über ein ganzes Buch hinziehen können. 

«Wie viele andere osteuropäische Autoren verfügt Krasznahorkai nicht nur über die Erfahrung eines repressiven Systems und weiß aus erster Hand, was das mit Literatur macht», sagte Denis Scheck der Deutschen Presse-Agentur. Er besitze darüber hinaus auch reichlich Humor.

Krasznahorkais Werke zeichneten sich durch eine finstere Sicht auf die Welt, aber auch durch Komik aus, sagte Scheck. Besonders schätze er das Werk «Baron Wenckheims Rückkehr»: «Darin erfahren Sie alles, was Sie über Ungarn und über Viktor Orban wissen müssen», sagte er mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten, der seit 2010 mit zunehmend autoritären Methoden in Krasznahorkais Heimat regiert.

Literarische Anspielungen auf Rechtspopulist Viktor Orban?

In seiner Heimat Ungarn wird Krasznahorkais Werk gerne als Allegorie auf gegenwärtige Zustände gelesen, in denen Demagogen ihre Bevölkerungen verführen und Alleinherrschaften errichten. 

Dabei will der Autor sein Schreiben gar nicht als Kommentar zur aktuellen Politik aufgefasst wissen. «Ich möchte nie einen politischen Roman schreiben», zitierte ihn 2014 die «New York Times». «Mein Widerstand gegen das kommunistische Regime war nicht politisch, er richtete sich gegen die Gesellschaft», fügte er hinzu. 

Geboren in der südostungarischen Kleinstadt Gyula, studierte Krasznahorkai zunächst Jura an der Universität Szeged, dann ungarische Literatur an der Universität Budapest. Nach 1987 lebte er immer wieder für längere Zeiten in Berlin, bereiste aber auch China, die Mongolei, Japan und die Vereinigten Staaten. In New York lebte er eine Weile in der Wohnung des Beat-Poeten Allen Ginsberg (1926-1997), der ihm beim Finden von Lösungen für literarische Probleme half, wie Krasznahorkai es später beschrieb.

Darum geht es in seinen berühmtesten Werken

Sein erster Roman «Satanstango» (1985, dt. 1990) zeichnet ein düsteres Bild vom Leben in einer Provinzortschaft im damals kommunistischen Ungarn. Einer ihrer Bewohner, der totgeglaubte Irimias, taucht nach langer Abwesenheit in seinem vom Niedergang geprägten Heimatort wieder auf und inszeniert sich als prophetische Figur. Er manipuliert die Bewohner, verstrickt sie in Intrigen, hetzt sie gegeneinander auf. Gegen Ende stellt sich heraus, dass Irimias ein Stasi-Agent ist, der die von ihm entfesselten Niederträchtigkeiten an die Zentrale meldet. 

Auch in Krasznahorkais großem Werk «Melancholie des Widerstands» (1989, dt. 1992) geht es um das Eindringen eines fremdartigen Phänomens in eine ungarische Kleinstadt mit ohnehin schon zerrütteten menschlichen und sozialen Verhältnissen. Hier ist es ein Zirkus, der ungefragt in die Stadt kommt und den Leichnam eines riesigen Wals auf dem Hauptplatz ausstellt. Von da an erfasst Unruhe die Bevölkerung, Unbehagen steigert sich zum Chaos. 

Der Einzige, der die Verhältnisse durchschaut, ist der von allen verspottete Außenseiter Valuska. Doch erkennt auch er die Aussichtslosigkeit seines privaten Widerstands in einer Welt rund um ihn, die zugrunde geht. Der Verlag beschrieb das Werk als «schwarze Parabel auf Osteuropa».

Unter deutschen Neonazis 

Sein jüngster Roman «Herscht 07769» spielt in einer abgelegenen Kleinstadt irgendwo in Thüringen. Gewalt und Schrecken dringen hier in der Gestalt von Neonazis ein, die die Einwohner in Angst versetzen. Hauptfigur Florian Herscht bewegt sich zwischen den Seiten. Er ist überzeugt, dass bald eine Katastrophe eintrete, und schreibt warnende Briefe an Angela Merkel, die unbeantwortet bleiben.

Das Werk sei als großer zeitgenössischer deutscher Roman beschrieben worden, teilte die Schwedische Akademie auf der Plattform X mit, weil er «die soziale Unruhe in dem Land auf den Punkt bringt.»

Zusammenarbeit mit Filmemacher Bela Tarr

Krasznahorkai lebt als freier Schriftsteller in Pilisszentlaszlo bei Budapest und in Berlin. 2015 erhielt er den renommierten britischen Man Booker International Prize, 2021 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. «Ich bin den Wörtern ausgeliefert, den Sätzen, die meinen Kopf Millionen Mal und in Millionen Versionen durchlaufen», sagte er in einem Interview der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Sein einziger Ehrgeiz bestehe darin, wenigstens einen perfekten Satz zu schreiben, «aber in meinem ganzen Leben endete dieser Traum immer nur in einem Fiasko». 

Als literarische Vorbilder bezeichnet er Franz Kafka, dessen Werk ihn als Jugendlicher zum Schreiben inspiriert habe, und Fjodor Dostojewski. Dennoch legt er Wert darauf, seinen eigenen literarischen Weg zu gehen. Wichtig ist ihm auch die Zusammenarbeit mit dem ungarischen Filmregisseur Bela Tarr. Er verfilmte unter anderem den «Satanstango» (1994) und - unter dem Titel «Die Werckmeisterschen Harmonien» (2000) - die «Melancholie des Widerstands». Krasznahorkai verfasste jeweils die Drehbücher.

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09.10.2025 · 15:13 Uhr
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