Nach Europawahl Debatte über Wahlpflicht
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen schlug in der «Bild»-Zeitung (Dienstag) vor: «Wer nicht zu einer Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht.» Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte in der Zeitung, über Möglichkeiten nachzudenken, künftig per Internet die Stimme abgeben zu können. Voraussetzung sei eine «sichere Übertragung» dieser Abstimmung. Bei der CDU und auch in Teilen der SPD stießen diese Überlegungen umgehend auf Ablehnung.
Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte den «Lübecker Nachrichten» (Mittwoch), nur aus Furcht vor Strafzahlungen die Stimme abzugeben, sei «kein gutes Motiv, zur Wahl zu gehen». Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk, betonte in einer Mitteilung: «Wahlen in einer Demokratie basieren auf Wahlfreiheit.» Es sei jedem Bürger selbst überlassen, ob und wenn ja wie er von seinem Stimmzettel Gebrauch mache: «Auch Nichtwähler treffen eine Entscheidung.» In Deutschland hatten sich am Sonntag nur 43,3 der Stimmberechtigten an der Europawahl beteiligt. EU-weit lag die Beteiligung bei 42,9 Prozent.
SPD-Fraktionsvize Klaas Hübner erklärte in der Zeitung «Die Welt» (Mittwoch), Strafzahlungen für Nichtwähler vertrügen sich nicht mit einer parlamentarischen Demokratie. «Wir haben ein Wahlrecht und es ist die Entscheidung jedes Bürgers, ob er wählen geht oder nicht. Dazu kann man niemand verpflichten.» Eine höhere Wahlbeteiligung sei zu erreichen, wenn das EU-Parlament eine ähnliche Gesetzgebungskompetenz hätte wie der Bundestag.
Die Linken-Abgeordnete Petra Pau kritisierte ebenfalls die Überlegungen. «Mit Zuckerbrot und Peitsche sollen Bürgerinnen und Bürger künftig an die EU-Wahlurne gebracht werden», sagte Pau laut einer Mitteilung in Berlin. Die Vorschläge blendeten aus, dass die EU für viele eine «black box» sei. «Die EU muss erfahrbarer werden, transparenter und demokratischer», forderte Pau.
Der Verein Mehr Demokratie setzte sich für Volksabstimmungen zu europapolitischen Fragen ein. «Die Menschen interessieren sich nur dann für Europa, wenn sie das Gefühl haben, tatsächlich etwas bewegen zu können», sagte Vorstandssprecherin Claudine Nierth am Dienstag laut Mitteilung in Berlin. Die jetzt diskutierten Neuerungen seien «rein kosmetische Lösungsvorschläge».
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich erneut für eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten durch die Bürger aus. «Wenn es im Wahlkampf um einen Kopf an der Spitze Europas geht, schafft das eine klar zugespitzte Aufmerksamkeit quer durch ganz Europa», sagte er der «Bild»-Zeitung.