Kuba erlaubt künftig mehr Privatwirtschaft
Havanna (dpa) - Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus in Europa will auch Kuba mehr Privatwirtschaft zulassen.
Angesichts der anhaltenden Wirtschaftsmisere kündigte Präsident Raúl Castro am Sonntag (Ortszeit) bei der Plenarsitzung der Nationalversammlung in Havanna an, dass die Kubaner künftig kleine Geschäfte betreiben und Arbeitskräfte beschäftigen dürfen.
Echte Reformen in Richtung freier Marktwirtschaft wird es laut Wirtschaftsminister Marino Murillo aber nicht geben. Castro kündigte auch eine Verringerung des «enormen Personalbestands» im Staatssektor an. Zahlen nannte aber nicht. Der Abbau soll schrittweise erfolgen.
Der Präsident sprach bei der Parlamentssitzung von einem strukturellen Wandel. Die Maßnahmen verfolgten das Ziel, Kubas Gesellschaftssystem zu entwickeln und für die Zukunft zu erhalten. Zugleich warnte Castro die Opposition vor subversiver Tätigkeit. In Anspielung auf die derzeit laufende Freilassung und Abschiebung von 52 politischen Häftlingen drohte er: «Niemand soll sich täuschen. Die Verteidigung unserer heiligen Errungenschaften, unserer Straßen und Plätze wird die erste Pflicht der Revolutionäre bleiben.»
«Der Ministerrat ist überein gekommen, Arbeit auf eigene Rechnung auszuweiten, als weitere Alternative für überzählige Arbeiter», erklärte der Präsident. Dazu würden Hindernisse und Verbote beseitigt und der Handel mit bestimmten Produkten erlaubt. Die kubanische Führung will mit den Maßnahmen vor allem die Produktivität der lahmenden Wirtschaft erhöhen, die seit Jahren vor dem Kollaps steht. Am Rande der Plenartagung bekräftigte Minister Marino Murillo, die Maßnahmen seien eher Aktualisierungen des Wirtschaftssystems, aber keine Reformen. Sozialismus und Staatswirtschaft blieben in Kuba unangetastet.
Schon 1993 hatte Kuba selbstständige Arbeit zugelassen. Allerdings durften die «Arbeiter auf eigene Rechnung», wie die Selbstständigen in Kuba genannt werden, bisher keine Angestellten haben. Außerdem machte ihnen die sozialistische Bürokratie das Leben schwer. Es wurden nach einer Anfangsphase auch kaum noch neue Lizenzen vergeben. 95 Prozent der kubanischen Wirtschaft ist staatlich.
Als das Parlament, die «Nationalversammlung der Volksmacht», ihn Anfang 2008 zum Präsidenten bestimmte, kündigte Raúl Castro strukturelle Veränderungen an. Doch außer der Verteilung brachliegenden Landes an Bauern zur Erhöhung der Lebensmittelproduktion und der Schaffung einer Behörde zur Korruptionsbekämpfung war nichts daraus geworden.
Vor drei Monaten erlaubte die Regierung dann als Test für weitere private Tätigkeiten im Kleinen, dass bisher beim Staat angestellte Friseure ihren Kunden auf eigene Rechnung die Haare schneiden dürfen.
Nach den Worten Castros sollen die Belegschaften in den Staatsbetrieben vom kommenden Jahr schrittweise verkleinert werden. Im April hatte er davon gesprochen, das eine Million der rund fünf Millionen Beschäftigten im Staatssektor überzählig seien. Jetzt kündigte er Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität an. «Man muss ein für alle Mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten», sagte er.
Wie bereits in den vergangenen Jahren blieb auch am Sonntag der Sessel Fidel Castros frei. Nachdem der Revolutionsführer in den vergangenen zwei Wochen achtmal in Erscheinung getreten war und das Parlament beauftragt hatte, über vermeintliche Atomkriegsgefahren durch die USA im Nahen Osten zu beraten, war vermutet worden, Fidel Castro könnte an diesem Sonntag wieder die große politische Bühne betreten. Das tat er nicht, sondern agierte erneut im Hintergrund und empfing den chinesischen Außenminister Yang Jiechi.