Krieg in Syrien vor der letzten großen Schlacht?

07. September 2018, 17:19 Uhr · Quelle: dpa

Antakya (dpa) - Wie es den Menschen in Idlib geht? Die ältere Frau mit Kopftuch und langem Mantel, die gerade aus der syrischen Rebellenhochburg in die Türkei zurückgekehrt ist, muss nicht lange überlegen.

«Alle haben große Angst», sagt die Syrerin, während der Wind heftig über den Platz am Grenzübergang nahe der türkische Stadt Antakya fegt. Und fährt fort: «vor den Bombardierungen». Sie hebt ihre Hand ein paar Mal in Richtung des blauen Himmels. «Die Flugzeuge, die Flugzeuge.»

In den vergangenen Tagen flogen die Kampfjets wieder über die Region im Nordwesten Syriens, in der sich seit Wochen die nächste und vielleicht letzte große Schlacht dieses blutigen Bürgerkrieges abzeichnet. Das Gebiet um die Stadt Idlib ist die einzige große Hochburg, die den Rebellen nach vielen Niederlagen noch geblieben ist. Doch Syriens Führung in Damaskus hat dort ihre Truppen aufmarschieren lassen und droht mit einer Offensive.

Auch Moskau, Syriens enger Verbündeter, scheint gewillt zu sein, diesen Angriff zu unterstützen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wetterte in der vergangenen Woche, in Idlib hätten sich Terroristen gesammelt. Diese «Eiterbeule» müsse «liquidiert» werden.

Bei einem Syrien-Gipfel im iranischen Teheran konnte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin und den zweiten Damaskus-Verbündeten, Gastgeber Hassan Ruhani, am Freitag nicht von einer Waffenruhe für Idlib überzeugen. Stattdessen bekräftigten die drei Staaten in ihrer Abschlusserklärung den Willen, Gruppen mit Verbindung zu Al-Kaida oder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu zerstören.

Im Kampf gegen den Terror solle jedoch zwischen den Extremisten und anderen Oppositionsgruppen unterschieden werden. Auch der Schutz der Zivilbevölkerung wurde betont. Nach den vagen Ergebnissen von Teheran scheint der Weg für die syrische Regierung in Idlib nun zumindest für eine begrenzte Offensive gegen die Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) frei.

Damaskus und Moskau rechtfertigten ihre Drohungen in den letzten Wochen vor allem unter Hinweis auf HTS, früher bekannt unter dem Namen Al-Nusra-Front. Die bewaffnete Gruppe gilt als Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, auch wenn sie sich von diesem offiziell losgesagt hat. Nach Kämpfen mit anderen Rebellen stieg HTS im vergangenen Jahr zur dominierenden Kraft in Idlib auf und ist dort trotz des Rückzugs aus einigen Orten weiter stark vertreten.

Die syrische Regierung sieht sich durch die militärischen Erfolge in den vergangenen Monaten bestätigt. Die Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes, darunter das Zentrum und fast alle wichtigen Städte. Sollten sie Idlib einnehmen können, wären die Rebellen nach mehr als sieben Jahren Bürgerkrieg praktisch besiegt.

Doch sollte tatsächlich der schlimmste Fall eintreffen und ein Großangriff die Region treffen, droht eine humanitäre Katastrophe, die schlimmer sein könnte als alle bisherigen Krisen in Syrien. Fast drei Millionen Zivilisten leben in Idlib, so die Schätzung der UN. Fast die Hälfte von ihnen ist schon einmal vertrieben worden. Schon jetzt ist die Not groß.

Alaa Walai, Chef der in Antakya ansässigen syrischen Hilfsorganisation SARD, lässt auf dem Computer einen Film abspielen. Zu sehen sind Flüchtlinge, die in provisorischen Unterkünften leben, zusammengezimmert aus Holzlatten und Plastikplanen, aufgestellt auf Feldern. «Das Gebiet ist völlig überfüllt», sagt Walai. «Die Familien leben überall, unter Bäumen, in Garagen oder halbfertigen Häusern. Alle zwei Kilometer gibt es eine informelle Siedlung.» Märkte und Geschäfte bieten zwar Lebensmittel an, die Preise sind aber vor allem für die Vertriebenen oft unerschwinglich.

Walais Organisation, die unter anderem Feldküchen betreibt, bereitet sich auf den schlimmsten Ernstfall in Idlib vor. Waren werden gehortet, Evakuierungspläne entwickelt, unterschiedliche Szenarien entworfen. Wie so viele Helfer plagt auch Walai vor allem eine Frage: Wohin sollten die Menschen überhaupt fliehen?

Viele der Vertriebenen sind aus Regierungsgebieten geflüchtet. Sie wollen auf keinen Fall unter der Herrschaft Assads leben, Rückkehr ausgeschlossen. Die Türkei hat die Grenze geschlossen. Bleibt als Ausweg ein kleines Gebiet ganz im Norden unter Kontrolle von Truppen Ankaras und pro-türkischen Rebellen - eine Region, die zu schwach ist, um Hunderttausende aufzunehmen, die vertrieben werden könnten.

Die türkische Regierung arbeitet deswegen daran, die Offensive auf Idlib zu verhindern, weil sie einen enormen Druck auf ihre Grenze befürchtet - und das vor den Augen einer alarmierten Weltöffentlichkeit.

Abwenden ließe sich ein Angriff wohl nur, wenn HTS zerschlagen oder sich auflösen würde. Doch das lehnt die Miliz ab. Überhaupt sind die Rebellen - auch die gemäßigteren - entschlossen, Widerstand zu leisten, um fast jeden Preis. Der Sprecher des Rebellenbündnisses Nationale Befreiungsfront jedenfalls schließt Abkommen - wie im Süden Syriens - über eine freiwillige Übergabe von Gebieten an die Regierung kategorisch aus. Dem Regime und den Russen sei nicht zu trauen, meint Nadschi Mustafa. «Für uns ist es ein Schicksalskampf.»

Er ist überzeugt: Gäbe die Opposition auf, würden ihre Kämpfer und unzählige Zivilsten in Assads Folterkellern landen - und niemand würde je wieder etwas von ihnen hören. «Wir haben keine Wahl», sagt Nadschi leise, aber mit Nachdruck. «Entweder kämpfe ich und sterbe. Oder ich gebe auf und sterbe. Das Schicksal ist dasselbe: der Tod.»

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Hilfsorganisation SARD
Konflikte / Syrien / Russland / Türkei / Iran
07.09.2018 · 17:19 Uhr
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