Krieg in Gaza

Hilfsgüter für Gaza: Warum sie oft nicht ankommen

04. August 2025, 09:49 Uhr · Quelle: dpa
Nahostkonflikt - Gaza
Foto: Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa
Palästinenser warten inmitten einer Hungerkrise auf Lebensmittel aus einer Wohltätigkeitsküche. (Archivbild)
Im Gazastreifen droht eine Hungersnot, doch Hilfsgüter erreichen die Bedürftigen häufig nicht. Chaos und Plünderungen behindern die Verteilung in einer angespannten Situation.

Gaza/Tel Aviv (dpa) - Immer lauter werden die Warnungen vor einer Hungersnot im umkämpften Gazastreifen. Seit gut einer Woche lässt Israel zwar wieder mehr Hilfslieferungen in den weitgehend zerstörten Küstenstreifen, in dem rund zwei Millionen Menschen unter unerträglichen Bedingungen hausen. Doch viele der Hilfsgüter kommen nicht bei denen an, die sie am meisten benötigen. Denn ein Großteil der Lieferungen wird im nach 22 Monaten Krieg herrschenden Chaos schon auf dem Weg geplündert, von hungernden Zivilisten – oder, wie es aus deutschen Sicherheitskreisen hieß, von der islamistischen Hamas oder anderen kriminellen Organisationen.

Rangelei um einen Sack Mehl

Hatem Abu Rami, ein 42-jähriger Vater von fünf Kindern beschreibt die Verzweiflung auf den Straßen. «Wenn die Lastwagen unser Gebiet erreichen, sind sie bereits von Hunderten Menschen gestürmt worden. Es gibt keine Organisation, keine Sicherheit, nur eine Welle hungriger Familien, die auf die Hilfslieferungen zurennen.» 

Er habe selbst gesehen, wie Leute die Säcke auf den Lastwagen aufrissen, noch bevor sie überhaupt anhielten. «Ich sah zwei Männer, die sich um einen Sack Mehl rangelten, während neben ihnen Kinder weinten», erzählt der Mann aus der Stadt Gaza, der mit seiner Familie derzeit in einem Zelt in Deir al-Balah Zuflucht gefunden hat. «Das ist kein Diebstahl – das ist Hunger. Die Menschen versuchen einfach nur zu überleben.»

Immer wieder tödliche Vorfälle nahe der Verteilungszentren

Israel hatte im März eine fast vollständige Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen verhängt, wo es Krieg gegen die islamistische Hamas führt. Damit sollte der Druck auf die Terrororganisation erhöht werden, die inzwischen 50 verbliebenen Geiseln freizulassen. Von Mai an wurden dann wieder kleinere Mengen von Hilfslieferungen erlaubt. Seit gut einer Woche lässt Israel nach internationalem Druck nicht nur Luftabwürfe zu, sondern gewährt auch täglich rund 200 Lastwagen von UN- und anderen Organisationen die Einfahrt in das abgeriegelte Küstengebiet. 

Die umstrittene Gaza Humanitarian Foundation (GHF), die neben Israel auch von den USA unterstützt wird, hatte Ende Mai die Verteilung von Hilfsgütern aufgenommen. Diese läuft parallel zum Einsatz der internationalen Hilfsorganisationen und sollte dafür sorgen, dass die Hamas keine Lebensmittel abgreift. 

Doch im Umfeld der vier GHF-Zentren im Gazastreifen kam es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bisher rund 1.500 Menschen bei dem Versuch getötet, Hilfsgüter zu erhalten. Hilfssuchende müssen oft gefährliches Kriegsgebiet durchqueren, um an Hilfslieferungen zu kommen.

Jede Hilfslieferung als chaotisches und gefährliches Ereignis

Laut Nisrin al-Assar, 29-jährige Freiwillige einer örtlichen Hilfsorganisation in Chan Junis, hat das Fehlen eines funktionierenden Verteilungssystems jede Hilfslieferung in ein chaotisches und gefährliches Ereignis verwandelt: «Wir versuchen, Reihen zu bilden, die Menschen zu ordnen, aber es hält nie lange vor.» 

Die Menschen seien «schwach, erschöpft und verzweifelt», erzählt die junge Frau. «Manchmal kommen bewaffnete Personen, reißen die Kontrolle an sich, drängen alle beiseite und laden die Hilfsgüter in ihre eigenen Fahrzeuge.» Sie habe gesehen, wie UN-Mitarbeiter umkehrten, «weil es einfach zu gefährlich war». Die Zivilbevölkerung bekomme die Hilfe dann nie zu sehen. «Es ist herzzerreißend. Uns bleibt nur, die Leute zu beruhigen, während sie zusehen müssen, wie das Essen davongefahren wird.»

Schockierende Videos abgemagerter Hamas-Geiseln

Terrororganisationen im Gazastreifen veröffentlichten zuletzt Videos von Geiseln, die bis auf die Knochen abgemagert sind. Einer davon ist auch deutscher Staatsbürger. Die Bilder sorgten auch international für Entsetzen und Empörung. 

Sie wollen damit offenbar Druck auf Israel ausüben und zeigen, dass auch die Geiseln vom Mangel an Lebensmitteln betroffen sind. Einen starken Kontrast zu der abgemagerten Geisel bildete allerdings in dem zuletzt veröffentlichten Video der Unterarm eines Entführers, der wohlgenährt wirkte. 

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Israel wirft der Hamas immer wieder vor, Hilfsgüter unter ihre Kontrolle zu bringen, die Organisation weist dies zurück. Auch die UN sagen, Israel habe keine Beweise dafür vorgelegt. Einwohner des Gazastreifens bestätigen jedoch, auch die Hamas sei an den Plünderungen beteiligt gewesen. 

Die Vereinten Nationen werfen Israel vor, durch die Kriegsführung im Gazastreifen chaotische Umstände geschaffen zu haben, die eine geordnete Verteilung von Hilfsgütern unmöglich machten. Israel wirft den UN dagegen vor, im Gazastreifen bereitstehende Hilfslieferungen nicht verteilt zu haben. 

Hilfslieferungen über vier Übergänge nach Gaza

Ein Sprecher der zuständigen Cogat-Behörde sagte auf Anfrage, gegenwärtig seien vier Übergänge in den Gazastreifen aktiv, die wichtigsten davon Kerem Schalom im Süden und Zikim im Norden. Die Verteilung der Hilfsgüter sei Verantwortung der internationalen Organisationen, sagte der Sprecher. Israel lasse die Lieferungen in den Küstenstreifen einfahren. Seit gut einer Woche seien dort 1.200 Lastwagen von UN- und anderen internationalen Organisationen abgeholt worden. 

Nach Angaben der israelischen Armee haben neben Deutschland auch Frankreich, Belgien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Ägypten Lebensmittelpakete über dem Gazastreifen abgeworfen. Dieser Einsatz wurde jedoch von UN-Seite als teuer und ungenügend kritisiert. 

Apokalyptische Szenen

Nach seinem jüngsten Besuch im Gazastreifen beschrieb Ricardo Pires vom UN-Kinderhilfswerk Unicef die Lage als «absolut apokalyptisch» und warnte vor einem dramatischen Anstieg der Opferzahlen – immer mehr Kinder würden verletzt, getötet und litten an Mangelernährung. Für 88 Prozent des Gebiets im Gazastreifen gebe es inzwischen Räumungsaufrufe der israelischen Armee. Dies fordere die zwei Millionen Einwohner des ohnehin dicht besiedelten Küstenstreifens dazu auf, sich auf zwölf Prozent des Gebiets zusammenzudrängen. 

 

Über eine halbe Million Menschen im Gazastreifen seien bereits unmittelbar von einer Hungersnot bedroht, warnte das World Food Programme der Vereinten Nationen. Die Organisation tue alles, um lebenswichtige Nahrungsmittelhilfe an Familien zu verteilen. 

Auf der Plattform X veröffentlichte WFP ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Hunderte junge Männer auf Lastwagen mit Hilfslieferungen zurennen, diese stoppen, plündern und mit Lebensmittelboxen davonlaufen. Angesichts dieser Umstände fordert die Organisation: «Um alle vom Hungertod bedrohten Menschen sicher und dauerhaft erreichen zu können, brauchen wir eine Waffenruhe – JETZT.»

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04.08.2025 · 09:49 Uhr
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