Handelsstreit als Finanzkrieg: US-Delisting chinesischer Firmen droht Börsen-Schock
Fast 300 chinesische Firmen, darunter die E-Commerce-Riesen Alibaba und JD.com, stehen vor der realen Gefahr, von den US-Börsen New York Stock Exchange und Nasdaq entfernt zu werden. Dieses Szenario entwickelt sich zum neuen Schauplatz im andauernden Handelskonflikt zwischen Washington und Peking – neben den bereits vorübergehend reduzierten Zöllen ein deutliches Signal.
Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump betrachtet das Delisting als strategisches Druckmittel. Im Februar ordnete Trump im Rahmen der „America First Investment Policy“ an, chinesische Unternehmen verstärkt auf ihre Einhaltung von US-Prüfstandards zu überprüfen. Insbesondere geht es um die Kontrolle von Bilanzprüfungen gemäß dem Holding Foreign Companies Accountable Act (HFCAA), der seit 2020 eine zweijährige Nicht-Zugänglichkeit von Prüfdokumenten als Grund für ein Delisting vorsieht.
Viele der betroffenen Firmen verwenden komplexe Konstrukte wie variable interest entities (VIEs), die Anlegern keinen direkten Besitz an den chinesischen Unternehmen gewähren, sondern an Offshore-Gesellschaften in Steueroasen. Dieses Modell erhöht die regulatorischen Unsicherheiten und befeuert Argumente von US-Politikern, die darin eine Gefahr für nationale Sicherheitsinteressen sehen.
Einflussreiche Republikaner fordern bereits die Entfernung bestimmter chinesischer Firmen mit vermuteten militärischen Verbindungen von den US-Märkten. So wandte sich eine Gruppe im Mai an die SEC mit der Forderung, 25 Unternehmen wie Baidu, Pony AI und Weibo zu delisten.
Der Weg zum Delisting ist jedoch nicht eindeutig vorgezeichnet. Unklar bleibt, ob Trump die Maßnahme tatsächlich als nachhaltige nationale Sicherheitsstrategie verfolgt oder als Verhandlungsinstrument im Handelsstreit nutzt. Anders als bei Zöllen wäre ein Börsenausschluss ein schwer rückgängig zu machender Schritt.
Die Konsequenzen für chinesische Unternehmen wären erheblich. Besonders Firmen ohne alternative Börsenplätze wie PDD Holdings oder TAL Education könnten Milliarden an Marktkapitalisierung verlieren. Analysten von JPMorgan rechnen bei einem Delisting mit bis zu 11 Milliarden US-Dollar Abflüssen aus passiven Fonds.
Um sich abzusichern, haben viele Unternehmen Sekundärnotierungen in Hongkong etabliert oder ihre Hauptlistings dorthin verlagert, um über Programme wie Stock Connect weiterhin Kapital aus China anzuzapfen. Doch die Liquidität am Hongkonger Markt bleibt hinter der von New York zurück.
Für US-Anleger wäre ein Delisting ein harter Einschnitt: Ohne Zweitlisting könnten sie ihre Positionen kaum transferieren, was Verluste und Verkaufsdruck auslösen würde. Goldman Sachs warnt in einem Worst-Case-Szenario vor Kapitalabflüssen von über 800 Milliarden US-Dollar.
Die SEC könnte Unternehmen mittels Delisting-Anordnungen oder dem Entzug der Handelsregistrierung vom Handel ausschließen. Sogar Notfallmaßnahmen durch Präsidentenerlasse wären denkbar, um den Prozess zu beschleunigen. Das würde schneller greifen als die langwierige Anwendung des HFCAA.
Der drohende Ausschluss chinesischer Firmen von US-Börsen markiert eine neue Eskalationsstufe im Handelskonflikt – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf Kapitalflüsse und globale Märkte.