Brexit: Bitterer Streit schmälert Chancen auf Handelspakt

10. September 2020, 20:55 Uhr · Quelle: dpa

London/Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission hat Großbritannien am Donnerstag ultimativ aufgefordert, Pläne zur Änderung des gültigen Austrittsabkommens bis spätestens Ende September zurückzuziehen. Vom britischen Staatsminister Michael Gove kam prompt eine Absage.

Die Verhandlungen über den für 2021 geplanten Handelspakt stecken ebenfalls fest. Es blieben «erhebliche Unterschiede», erklärte EU-Unterhändler Michel Barnier am Abend. Die EU will nun die Vorbereitungen für einen «No Deal» intensivieren.

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte Brüssel diese Woche mit dem Plan für ein «Binnenmarktgesetz» alarmiert, das den 2019 mit der EU vereinbarten und später auch ratifizierten Austrittsvertrag aushebeln würde. Dabei geht es um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten verhindern sollen. Brexit-Befürwortern sind sie ein Dorn im Auge, weil Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs abgekoppelt werden könnte.

Kommissionsvize Maros Sefcovic sagte nach Gesprächen mit Gove in London, mit den Gesetzesplänen habe die britische Regierung das Vertrauen der Europäischen Union ernsthaft beschädigt. Sollte das Gesetz in der von London geplanten Form in Kraft treten, wäre dies «eine extrem ernste Verletzung des Austrittsabkommens und von internationalem Recht», warnte Sefcovic. Die Verhandlungen über den Handelsvertrag würden damit in Gefahr gebracht. Gove reagierte jedoch postwendend mit der Ansage, seine Regierung «werde und könne» das geplante Binnenmarktgesetz nicht zurückziehen.

Eigentlich wollten beide Seiten diese Woche in der bereits achten Verhandlungsrunde endlich weiterkommen auf dem Weg zu einem Handelsvertrag. Denn in weniger als vier Monaten endet die Übergangsfrist nach dem britischen EU-Austritt im vergangenen Januar - ohne Vertrag droht ein harter wirtschaftlicher Bruch. Doch auch bei den parallel zu dem Streit über das Binnenmarktgesetz laufenden Verhandlungen ging aus Sicht der EU wieder nichts voran.

Der britische Chef-Unterhändler David Frost gab sich am Abend dennoch optimistisch: «Wir sind weiterhin bestrebt, hart an einer Einigung bis Mitte Oktober zu arbeiten.» Anders klang das bei Barnier: «Erhebliche Unterschiede bleiben bei den Themen, die für die EU von entscheidender Bedeutung sind.» Die EU habe sich bei den Roten Linien Großbritanniens flexibel gezeigt, umgekehrt sei dies nicht geschehen.

«Um eine künftige Partnerschaft zu schließen, ist gegenseitiges Vertrauen und Zutrauen nötig und wird es auch künftig sein», erklärte Barnier. Die Verhandlungsteams würden in den nächsten Tagen in Kontakt bleiben. «Gleichzeitig wird die EU ihre Vorbereitungen intensivieren, um für alle Szenarien am 1. Januar 2021 gewappnet zu sein.»

Tatsächlich sind die Chancen auf einen Handelspakt wohl weiter gesunken. Aber Brüssel rätselt über Johnsons Verhalten. Meint der Premier das ernst mit Änderungen an einem gültigen Vertrag? Was treibt den innenpolitisch angeschlagenen Premier? Lenkt er, wie schon im vergangenen Jahr, in letzter Minute ein? Oder will er tatsächlich zum Jahresende den großen Knall - mit allen negativen Folgen. Wirtschaftlich wären das Zölle, Lieferschwierigkeiten, Mehrkosten. Politisch wäre es: verlorene Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett.

Trotz Sefcovics klarer Ansage ist die Lage für die EU heikel. Sie will mit dem Handelsvertrag gleiche Wettbewerbsbedingungen mit dem Ex-Mitglied vor der Haustür festschreiben, Zölle vermeiden, ihre Fischereirechte in britischen Gewässern sichern und Dutzende Fragen regeln. Und Brüssel will nicht den Schwarzen Peter, falls dies scheitert. Andererseits will die EU keinen neuen Vertrag mit einem Partner schließen, der die alten Vereinbarungen nicht einhält.

Dass Vertragstreue unentbehrlich ist, hält nicht nur die EU der britischen Regierung vor. Der frühere Parteivorsitzende der Konservativen Partei, Michael Howard, fragte bissig im britischen Oberhaus: «Wie können wir Russland, China oder dem Iran Vorwürfe machen, dass ihr Verhalten nicht international anerkannten Standards entspricht, wenn wir so wenig Respekt für unsere vertraglichen Verpflichtungen zeigen?»

Gewichtiger noch dürfte die Mahnung aus dem Mund der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sein: Sollte die britische Regierung Völkerrecht brechen und durch ihren Alleingang die hart errungene Stabilität in Nordirland gefährden, hätte ein Handelsvertrag mit den USA «absolut keine Chance» im Kongress, sagte sie der Zeitung «The Irish Times».

Die deutsche Wirtschaft stimmt in den Tenor ein. «Für das Zustandekommen eines Freihandelsabkommens mit der EU ist Vertragstreue beim völkerrechtlichen Austrittsabkommen unabdingbar», sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang. Die Hoffnung auf einen Handelspakt schwinde auf ein «absolutes Minimum», klagte der Maschinenbauverband VDMA.

Bleibt die Frage: Was bezweckt Johnson? Der Brexit-Streit ist keineswegs sein einziges Problem. In Großbritannien steigen die Infektionen mit dem Coronavirus wieder und damit die Sorgen vor einer zweiten großen Ausbruchswelle. Der Regierungschef selbst wirkt nach seiner eigenen Corona-Erkrankung müde - so sehr, dass Gerüchte über einen möglichen vorzeitigen Amtsverzicht kursieren. Alles Quatsch, so Johnson.

Politisch ist er wegen seines Zickzackkurses in der Pandemie unter Druck, die Wirtschaft ist noch schlimmer eingebrochen als anderswo in Europa. Will er ablenken? Den Schaden des Brexits überdecken oder anderen in die Schuhe schieben? Für einige in Brüssel liegt der Verdacht nahe. Aber genau zu lesen vermag niemand den unsteten Partner in London.

EU / Brexit / Boris Johnson / Abkommen / Großbritannien / Europa
10.09.2020 · 20:55 Uhr
[12 Kommentare]
Betriebsversammlung der Meyer Werft
Papenburg/Hannover (dpa) - Für die finanziell angeschlagene Meyer Werft und ihre Beschäftigten gibt es eine Zukunftsperspektive: Die Verträge für die milliardenschwere Rettung und den Einstieg von Bund und Land Niedersachsen sind unterzeichnet worden. «Die Zukunft der Werft ist damit stabilisiert und jetzt gehen wir fest davon aus, dass wir auch eine positive weitere Entwicklung der Standorte […] (00)
vor 3 Minuten
Demi Moore
(BANG) - Demi Moore ist erstaunt darüber, wie „grausam“ Menschen zu sich selbst sein können, wenn es um ihre Körper geht. Die 61-jährige ‚G.I. Jane‘-Darstellerin sprach jetzt in einem Interview offen über ihren Selbsthass, während sie ihre neueste Rolle als Elizabeth Sparkle in dem Body-Horror-Film ‚The Substance‘ thematisierte. Sie spielt in dem Film eine einsame, abgehalfterte Fitness- […] (00)
vor 3 Stunden
Carsharing in Oldenburg
Berlin (dpa) - München hat seine Spitzenposition beim «Smart City Index» des Digital-Branchenverbandes Bitkom vor Hamburg und Köln verteidigt. Das jährliche Ranking bewertet den Fortschritt bei der Digitalisierung der deutschen Großstädte. Dabei stehen die Kategorien Verwaltung, IT und Kommunikation, Energie und Umwelt, Mobilität sowie Gesellschaft und Bildung auf dem Prüfstand. München erreicht […] (00)
vor 15 Minuten
Switch-Power reicht nicht: The Plucky Squire läuft auf der Nintendo-Konsole mit 30 FPS
The Plucky Squire, das charmante Action-Adventure von All Possible Futures und Devolver Digital, steht kurz vor der Veröffentlichung. Doch während Fans auf der Nintendo Switch schon ihre Schwertchen polieren, gibt es eine kleine, aber nicht unwesentliche Einschränkung: 30 FPS statt der erhofften 60. Aber keine Sorge – auf anderen Konsolen läuft der kleine Held vielleicht schneller. Kein High- […] (00)
vor 20 Minuten
«Renegade» kehrt zu Nitro zurück
Der Unterhaltungssender Nitro hat die Rückkehr von Renegade - Gnadenlose Jagd angekündigt. Dafür nimmt der Sender die Doppelfolgen von Knight Rider aus dem Programm. Die Serie wird am Mittwoch, den 9. Oktober 2024 ab 12.00 Uhr wiederholt. Stu Segall Productions, Cannell Entertainment und New World Entertainment haben die 110-teilige Serie produziert. Der junge Polizist Reno Raines war ein ehrgeiziger Polizist, bevor er sich mit korrupten […] (00)
vor 1 Stunde
Frauen U20-WM: USA - Deutschland
Cali (dpa) - Die deutschen Fußballerinnen haben bei der U20-Weltmeisterschaft nach einem dramatischen Spielverlauf mit drei Toren in der Nachspielzeit das Halbfinale verpasst. Gegen die USA verlor die Mannschaft von Trainerin Kathrin Peter im Elfmeterschießen 1: 3. In Cali gab das Team dabei durch zwei ganz späte Gegentreffer eine 2: 0-Führung aus der Hand - die USA trafen in der achten und […] (00)
vor 56 Minuten
Wie Marokko den Ansturm auf die Grenze blockiert – und was Europa jetzt tun muss
Es war wie ein Schachzug, der von vornherein zum Scheitern verurteilt war: Dutzende Migranten, angelockt durch Aufrufe in sozialen Netzwerken, versammelten sich auf einem Hügel, direkt an der Grenze zur spanischen Exklave Ceuta. Das Ziel: Europa. Doch Marokko hatte seine Sicherheitskräfte längst positioniert. Als die Migranten versuchten, die Grenze zu stürmen, hagelte es keine Chancen, sondern […] (00)
vor 1 Stunde
Qualitas Energy fördert den Energiewende-Dialog in Kooperation mit MdB Helmut Kleebank
Berlin, 16.09.2024 (PresseBox) - Qualitas Energy setzt gemeinsam mit MdB Helmut Kleebank im Rahmen der Spandauer Nachhaltigkeitswoche wichtige Impulse für eine nachhaltige Entwicklung Einladung zur Windparkbesichtigung in Brandenburg mit Fokus auf Repowering von Windkraftanlagen als Schlüssel zur Effizienzsteigerung in der Energiewende Qualitas Energy fördert den Dialog und eine enge […] (00)
vor 1 Stunde
 
Werbung für das Bürgergeld (Archiv)
Berkeley - Der kanadische Wirtschaftsnobelpreisträger David Card kritisiert die Bundesregierung […] (01)
Halsey
(BANG) - Halsey kann die Vorstellung „nicht nachvollziehen“, dass ihre Mutter altert. Die […] (00)
Drei neue «Y-Kollektiv»-Filme
Im Oktober werden insgesamt drei neue Filme des Y-Kollektivs in der Mediathek der ARD veröffentlicht. Am […] (00)
Turtle Beach Kone II – Die perfekte Wahl für PC-Spieler:innen
Der Gaming-Zubehörhersteller Turtle Beach gibt heute bekannt, dass die kabellosen Kone II […] (00)
Großer Preis von Aserbaidschan
Baku (dpa) - Der ungebrochene McLaren-Höhenflug bringt Max Verstappen und sein Red-Bull-Team im […] (00)
Die 3 reichsten Immobilien-Unternehmer Deutschlands
Immobilien bleiben eine der sichersten Anlagen, und in Deutschland gibt es Unternehmer, die […] (00)
 
 
Suchbegriff