Berlusconi will zurücktreten - aber nicht sofort
Rom (dpa) - Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi ist zum Rücktritt bereit. Zuvor will er aber ein Reformgesetz für mehr Wirtschaftswachstum durchsetzen, das er der EU zugesagt hat, wie Präsident Giorgio Napolitano am Dienstagabend mitteilen ließ.
Napolitano hatte den Premier, der zuletzt auch wieder mit Sex-Skandalen Schlagzeilen gemacht hatte, zu einem Krisengespräch getroffen: Berlusconi steht im Parlament inzwischen ohne Mehrheit da. Berlusconi räumte nach dem Treffen ein, dass seine Mitte-Rechts-Koalition nach dreieinhalb Jahren am Ende sei: «Die Regierung hat nicht mehr die Mehrheit, die wir zu haben glaubten», sagte der gescheiterte Regierungschef am Abend dem italienischen Fernsehen. «Wir müssen also diese Situation realistisch zur Kenntnis nehmen und uns um die Lage Italiens kümmern und um das, was auf den Finanzmärkten geschieht», fügte er an.
Von der Opposition fordert er, dass sie den dringenden Reformmaßnahmen zustimmt, die er im Parlament einbringt. Als Antwort erhielt Berlusconi bereits positive Signale aus der Opposition.
Italien ist hoch verschuldet, steht im Visier der Finanzmärkte und muss immer mehr Zinsen für frisches Geld bezahlen. Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds IWF überwachen inzwischen die Sanierungsschritte Italiens.
Nach einer Abstimmung über die Maßnahmen im Stabilitätsgesetz werde es Konsultationen mit den Parteien geben, hieß es am Abend in Rom. Dabei wolle der Staatspräsident den Vorschlägen und Positionen der politischen Kräfte in Italien «höchste Aufmerksamkeit» widmen.
Nach den Fahrplänen des Parlaments dürfte zunächst der Senat vom 15. bis 18. November das Stabilitätsgesetz mit den Reformzusätzen der Regierung behandeln. Dann geht der Entwurf in das Abgeordnetenhaus.
Ein kritisches Votum im römischen Parlament hatte es am Dienstag klar gezeigt: Berlusconi hat keine Regierungsmehrheit mehr. Zwar passierte sein Rechenschaftsbericht 2010, doch stimmten nur 308 der 630 Abgeordneten dafür. Die absolute Mehrheit wären 316 Stimmen gewesen.
In den dreieinhalb Jahren seines vierten Kabinetts hat Berlusconi mehr als 50 Mal erfolgreich eine Vertrauensfrage im Parlament überstanden.
Im Oktober hatte Berlusconi nach dem ersten Scheitern des Rechenschaftsberichtes seines Kabinetts die Vertrauensfrage gestellt und dabei noch genau die erforderlichen 316 Ja-Stimmen bekommen. Er hatte im Frühjahr 2008 mit 344 Abgeordneten begonnen.
Der 75 Jahre alte Regierungschef berief unmittelbar nach der Abstimmung eine Krisensitzung mit den Spitzen der Regierung ein. Zu den Teilnehmern gehörten Wirtschaftsminister Giulio Tremonti, Innenminister Roberto Maroni und der Chef der Koalitionspartei Lega Nord, Umberto Bossi. Abends gab es nochmals eine Koalitionsrunde.
Lega-Chef Bossi hatte Berlusconi vor dem Votum aufgefordert, sein Amt aufzugeben. Stattdessen solle der Chef der Regierungspartei PdL (Volk der Freiheit), Angelino Alfano, den Posten übernehmen. Zuvor hatte die Lega jede Änderung in der Regierung ohne Neuwahlen noch abgelehnt.
Italien weist nach Griechenland den höchsten Schuldenstand der Eurozone gemessen an der Wirtschaftsleistung auf. Angesichts seiner schwindenden Regierungsmehrheit gelang es Berlusconi trotz der Verabschiedung von zwei Sparpakten und allen Versprechungen gegenüber Brüssel bislang nicht, die Finanzmärkte zu beruhigen.
Auf die jüngste Entwicklung reagierte der italienische Anleihemarkt am Dienstag so: Die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen schnellte am späten Nachmittag auf den neuen Rekordwert von 6,7 Prozent hoch.
An der Abstimmung über den Rechenschaftsbericht, die als Formsache gilt, nahmen 321 Abgeordnete nicht teil, waren aber im Parlament anwesend. Ein Parlamentarier enthielt sich der Stimme.