Analyse: Regierung und Opposition verhandeln

Kairo (dpa) - Opposition und Regierung in Ägypten haben nach tagelanger, teils blutiger Konfrontation erstmals offiziell miteinander gesprochen.

Wie kam es zu den Gesprächen, nachdem Teile der Opposition als Vorbedingung zunächst immer einen Abgang Mubaraks verlangt hatten?

Die Jugendbewegung hat sich möglicherweise von Amre Mussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, beeinflussen lassen, der möglichst rasche Verhandlungen über die weiteren Reformschritte gefordert hatte. Auch der sogenannte Rat der Weisen, dem mehrere einflussreiche Persönlichkeiten angehören, hatte davor gewarnt, das Machtvakuum noch größer werden zu lassen. Diese Aufrufe entfalteten dann eine gewisse Sogwirkung, die zuletzt auch die Muslimbrüder erfasste. Denn sie wollten am Schluss nicht die Einzigen sein, die sich gegen Gespräche sträuben und dadurch auch mittelfristig politischen Einfluss verlieren.

Bei den Gesprächen kam ja dann sehr schnell eine Annäherung. Wie kam das?

Nun, man kann sicher von einer Annäherung sprechen, aber noch nicht von einem Durchbruch. Denn in der Frage, welche Rolle Präsident Husni Mubarak in den Monaten bis zur Präsidentschaftswahl im kommenden September spielen soll, herrscht noch keine Einigkeit. Die meisten Oppositionellen auf der Straße und auch die Muslimbrüder wollen, dass Vizepräsident Omar Suleiman sofort die Verantwortung übernimmt und dass Mubarak geht. Die politische Führung will ihn jedoch im Amt belassen und nur einige Befugnisse auf Suleiman übertragen. Bisher sieht es auch so aus, als sei dies ein Kompromiss, der mit der Armeeführung abgestimmt ist. Wichtig ist, dass am Sonntag alle heiklen Fragen auf den Tisch kamen, von der Aufhebung des seit 1981 geltenden Ausnahmezustandes bis zur Frage der Voraussetzungen für die Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl. Einigen Oppositionellen geht das jetzt zu langsam, aber andere erinnern «Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut».

Ist das ein echtes Ergebnis, das Bestand hat?

Alle Reformen, die jetzt und in den nächsten Tagen vereinbart werden, werden mittelfristig Bestand haben. Denn die Verantwortlichen haben gemerkt, dass man die Wut der Straße ernst nehmen muss. Dies ist ein Volksaufstand. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht so einfach zurückdrehen. Heute ist es so, dass die Bürgerkomitees, die in den ersten Chaos-Tagen gegründet wurden, um die Wohnviertel vor Plünderern zu schützen, die Ausweise von Polizisten kontrollieren. Das neu gewonnene Selbstbewusstsein der Bürger ist eine Kraft, die von der Staatsmacht nicht so einfach ignoriert werden kann.

Konnte man bei den Gesprächen bereits erkennen, wer in dieser uneinheitlichen Gruppe den Hut aufhat?

Nein, dafür ist es jetzt noch zu früh. Doch es gab nach dem etwas planlosen Durcheinander der ersten Tage jetzt einige sehr positive Entwicklungen, die sicher auch langfristige Folgen haben werden: Erstens sitzen die Muslimbrüder, die man aufgrund ihrer großen Anhängerschaft nicht ignorieren sollte, endlich mit am großen Tisch. Die alte Regierung hatte die Organisation bislang immer nach dem Motto «verboten aber toleriert» behandelt, was einen echten Dialog mit den Islamisten behinderte. Gleichzeitig haben sich aber noch etliche weitere Persönlichkeiten als Kritiker der alten Garde profiliert, von den vorher niemand gesprochen hatte - von Amre Mussa bis hin zum Verleger Ibrahim al-Muallim. Der Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei spielt dagegen nicht mehr so eine wichtige Rolle wie noch vor einigen Tagen.

Mubarak saß nicht mit am Tisch, nur sein Bild hing groß im Konferenzraum. Hält er die Zügel noch in der Hand?

Wieviel er noch zu sagen hat, ist schwer zu sagen. Denn das Ganze ist etwas undurchsichtig. Möglicherweise ist Mubarak schon entmachtet und die Armeeführung will ihm und seinen Vertrauten nun lediglich genug Zeit geben, ihren geordneten Rückzug vorzubereiten. Damit wäre der Gerechtigkeit zwar im Einzelfall vielleicht nicht unbedingt gedient. Ein allmählicher Übergang reduziert jedoch das Risiko, dass die Regimegrößen, um ihre eigene Haut zu retten, weiter Chaos und Gewalt verbreiten.

War das Auswechseln der Parteispitze durch Mubarak ein geschickter Schachzug oder hat es ihn weiter isoliert?

Mubarak hatte wohl keine andere Wahl, als diese Parteispitze auszuwechseln, die absolut untragbar geworden war. Denn im Führungsgremium der NDP saßen fast nur Politiker, die den Hass der Bevölkerung auf sich gezogen hatten - mehr noch als Husni Mubarak selbst. Als Vater ist es für ihn vielleicht nicht leicht gewesen, das vom Volk erzwungene Rücktrittsgesuch seines eigenen Sohnes entgegenzunehmen. Doch letztlich blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Die Frage ist nun, wann Husni Mubarak selbst seinen Posten als Vorsitzender der NDP aufgibt.

Und was ist mit dem Volk? Ist es nach den tagelangen Protesten müde?

Ja und Nein. Ein Teil der Demonstranten, die am vergangenen Mittwoch noch in großer Zahl gegen Mubarak protestiert hatten, hat sich zwar jetzt von der Straße zurückgezogen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass diese Demonstranten müde sind. Einige von ihnen sind vielmehr der Meinung, dass sie mit ihrem Protest schon viel mehr erreicht haben, als die Oppositionsparteien in den vergangenen 20 Jahren. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl. Sie glauben, dass sich der ägyptische Staat jetzt durch die Beteiligung von mehreren allseits respektierten Persönlichkeiten in die richtige Richtung entwickeln wird. Außerdem wollen sie gerne wieder zur Arbeit gehen und ihre Kinder zur Schule schicken. Der harte Kern der Demonstranten harrt jedoch immer noch auf dem Tahrir-Platz aus.

Unruhen / Ägypten
06.02.2011 · 21:54 Uhr
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