Analyse: Obama schafft sich mit Finanzmarktreform Gewicht
Sichtlich entspannt und locker verkündete Barack Obama kurz vor Gipfelbeginn seinen Erfolg. «Großartiger Fortschritt» und «härteste Finanzreform seit der Weltwirtschaftskrise» - Bescheidenheit war seine Sache nie. Jetzt werde Wall Street «haftbar gemacht» - das sind markige Worte für einen Präsidenten in der Hochburg des Kapitalismus.
Doch bemerkenswert: Im selben Atemzug, in dem Obama seine Finanzreform preist, fordert er mehr Engagement für die globale Konjunktur. Jetzt komme es darauf an, «unsere Anstrengungen zur Förderung des Wachstums zu koordinieren, die Finanzreform voranzubringen und die Weltwirtschaft zu stärken.»
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren europäischen Partnern werden die Ohren klingeln: Sparen und Defizitabbau erwähnt der Führer der weltgrößten Volkswirtschaft mit keinem Wort. Keine Frage: Obama sieht sich durch sein Reformwerk im Kreis der G8- und G20- gestärkt.
In Sachen Banken an die Kandare legen hat Obama seine Hausaufgaben gemacht - das können nicht alle von sich behaupten. Schon mit der Art und Weise, wie der Präsident im ersten Amtsjahr den Kampf gegen die Wall Street aufnahm, schrieb Obama ein Stück Geschichte.
Schließlich geht es um Big Business und Milliarden-Umsätze - da gehen US-Präsidenten, die in Wahlkämpfen auf Spenden von Industrie und Banken angewiesen sind, gemeinhin eher mit Sandhandschuhen vor. Tatsächlich ist Obama mit seinem Kreuzzug gegen die Sünder und Verursacher der Finanzkrise von 2008 ein erhebliches Risiko eingegangen.
Obama erklärte die Reform zur Chefsache, noch im Frühjahr fuhr er eigens nach New York - dem Herzen der internationalen Finanzwelt - und redete den Bankern in Gewissen, brandmarkte «perverse Anreizen» zu besonders riskanten Geschäften sowie schwindelerregende Boni. Immer wieder kritisierte er die Macht der Finanz-Lobby. Zeitweise hielten ihm Kritiker gar Populismus vor. Auf den bösen Bankern herumzuhacken sei allzu wohlfeil. Nun kann Obama in Huntsville und Toronto auf sein Gesetz verweisen - und Führungsstärke zeigen.
Dennoch: Obama hat auch erhebliche Probleme - und deshalb dürfte er beim Streit «Wachstum stärken oder Staatsschulden abbauen» kaum nachgeben. Ausgerechnet am Freitag gab es eine neue Hiobsbotschaft. Die US-Wirtschaft wuchs im ersten Quartal lediglich um schlappe 2,7 Prozent, zu wenig, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Zum Vergleich: Im vierten Quartal lag der Wirtschaftszuwachs noch bei robusten 5,6 Prozent.
Das Problem: Im November sind Kongresswahlen. Nach wie vor liegt die Arbeitslosigkeit bei rund zehn Prozent. Obama muss um seine Mehrheit im Parlament bangen. Das Thema Arbeitslosigkeit dürfte Topthema im Wahlkampf werden, der derzeit langsam beginnt. Deshalb braucht Obama in Kanada einen Erfolg - die europäische Sparpolitik stört da ganz erheblich.