Analyse: Kühle Freude in Russland
Zwar legte der verschuldete und technisch rückständige Autobauer Gaz, der als Opel-Partner im Gespräch ist, an der Moskauer RTS-Börse zweistellige Kurssprünge hin. Aber von der Jubelstimmung wie im Frühjahr, als der Zugriff auf westliche Hochtechnologie zum Schnäppchenpreis ganz nah schien, ist nichts mehr zu spüren. Russlands Automarkt erlebt die schwerste Krise seit Jahren. Hinzu kommt, dass Sberbank selbst Verluste einfährt.
Opels Hoffnung, der große russische Automarkt, ist selbst ein Sanierungsfall. Die Verkaufszahlen sind in den ersten acht Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 50 Prozent auf 990 000 Fahrzeuge eingebrochen. Gaz hatte im Sommer die Entlassung von 7000 der rund 40 000 Mitarbeiter in dem Werk in Nischni Nowgorod - rund 500 Kilometer östlich von Moskau - angekündigt. Und Russlands größter Autobauer Avtovaz (Lada), der mit mehr als einer Milliarde Euro verschuldet ist, plant laut Medien sogar den Abbau von 30 000 Jobs.
Angesichts der weiter laufenden Verhandlungen mit der bisherigen Opel-Mutter General Motors (GM) gibt sich Sberbank-Chef German Gref kleinlaut: «Zum Gratulieren ist es zu früh. Die endgültige Entscheidung ist noch nicht getroffen.» Das Geschäft sei «einmalig kompliziert». Regierungschef Wladimir Putin begrüßt die Entscheidung von GM als Schritt zur «realen Integration Russlands in die europäische Wirtschaft». Opel ist für die russische Führung ein Prestigeobjekt, wie auch die wiederholten Gespräche zwischen Kremlchef Dmitri Medwedew und Kanzlerin Angela Merkel zeigten.
Über kurz oder lang soll dem Opel-Blitz ein Donnerhall bei den russischen Investitionen im Westen folgen. Doch ob sich Russland neben seiner Stellung als Energie- und Rohstofflieferant auch sonst als ernstzunehmender internationaler Geschäftspartner erweist, muss sich erst noch zeigen. Medwedew hat erst in dieser Woche wieder die wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit seines Landes sowie die Ideenlosigkeit und halbsowjetische Einstellung vieler Russen kritisiert.
Hinzu kommt, dass die vom Westen oft argwöhnisch beäugten Oligarchen wie der Gaz-Eigentümer Oleg Deripaska längst selbst zu Bittstellern beim Staat geworden sind. Immerhin ließ die russische Führung in puncto Automarkt mehrfach den klaren Willen zu einer Modernisierung erkennen. Um die einheimische Autoindustrie auf Westniveau zu tunen, investiert der Staat Milliarden.
Bei dem Opel-Geschäft haben alle vor allem die lukrativen Absatzchancen im größten Land der Erde im Blick. Mit einer Dichte von 200 Autos je 1000 Einwohner ist der Nachholbedarf in Russland immens. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 566 Autos. «Für die deutschen Autokonzerne geht es in Russland jetzt darum, sich eine gute Ausgangsposition für die Zeit nach der Krise zu schaffen», sagt der Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold.
Russische Analysten warnen vor Euphorie, weil es bis zur Erholung der Wirtschaft noch ein weiter Weg sei. Ein Opel-Kauf sei zwar ein Modernisierungsimpuls für Russland. Er sei aber auch ein «ernstes Risiko», da GM weiter starken Einfluss auf Opel und den Sberbank-Partner Magna habe, meint der Autoexperte Michail Pak. Er befürchtet, dass die Amerikaner russischen Interessen im Weg stehen könnten. Die Beschäftigten im Gaz-Werk in Nischni-Nowgorod atmeten jedoch erst einmal auf. Nach Abschluss der Verträge, hieß es, könnten hier die ersten Opel in neun Monaten vom Band laufen. Die Kapazität liege bei 170 000 Autos pro Jahr.