Analyse: EU nimmt Gaddafis Tankstellen ins Visier

Berlin (dpa) - Vielen Autofahrern in Deutschland ist wohl gar nicht bewusst, dass sie dieser Tage beim Tanken die Taschen von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi füllen.

Der Gaddafi-Clan kontrolliert über ein kompliziertes Firmengeflecht nach Erkenntnissen der Bundesregierung indirekt auch die Tamoil GmbH, die bundesweit an Tankstellen Benzin unter den Marken Tamoil und HEM verkauft.

Das ist in Zeiten des Aufruhrs in dem ölreichen Wüstenstaat am Mittelmeer natürlich ein Politikum: Während westliche Kampfjets im UN-Auftrag versuchen, Gaddafi-Gegner mit Luftangriffen zu schützen, und viele Länder längst Vermögenswerte in Milliardenhöhe eingefroren haben, macht die Gaddafi-Sippe in Europa mit Benzinverkäufen unverändert glänzende Geschäfte.

Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben nun weitere Sanktionen gegen libysche Unternehmen auf den Weg gebracht, darunter die staatliche libysche Ölfirma NOC, die über verschlungene Wege auch Tamoil kontrolliert. Damit setzt die EU Sanktionen um, die im Rahmen der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats festgelegt worden waren.

Danach sollen Geschäftsbeziehungen von Tochterfirmen mit in Libyen gelisteten Mutterunternehmen wie der National Oil Copmany (NOC) künftig nicht mehr erlaubt sein. Diese Regelung betrifft in Deutschland die Tamoil GmbH und die Holborn Europa GmbH, die beide unter anderem über die Rotterdamer Holding Oil Invest mehrheitlich der NOC gehören, die unter dem Einfluss des Gaddafi-Clans steht. So fließt das Geld durch die Zapfsäulen in Hamburg, München oder Berlin über eine Holding namens Oil Invest in Rotterdam am Ende bis nach Tripolis. Eine sofortige Schließung der Tamoil-Gesellschaften gilt rechtlich dagegen als nicht durchsetzbar.

Die Deutsche Tamoil sieht keinen Grund für Beschränkungen ihres Geschäftsbetriebs. Man habe umfangreiche Maßnahmen getroffen um sicherzustellen, dass den von den EU-Sanktionen betroffenen Personen und Institutionen keine finanziellen oder wirtschaftlichen Ressourcen zufließen, teilte das Unternehmen am Donnerstagabend mit. Die Deutsche Tamoil habe noch nie Gewinne oder Dividenden abgeführt, sondern 100 Prozent der erwirtschafteten Gewinne in die Verbesserung und den Ausbau des Tankstellennetzes in Deutschland investiert. «Aus dem Umsatz der Tankstellen fließt kein Geld - weder direkt noch indirekt - an Personen oder Institutionen, gegen die sich die Sanktionen richten», betonte das Unternehmen.

Tamoil betreibt nach eigenen Zahlen von 2009 in Europa mehr als 2800 Tankstellen, davon die meisten in Italien. In Deutschland gehören nach Angaben des Energie-Informationsdienstes EID 390 Stationen unter den Markennamen Tamoil und HEM zum libyschen Netz. Die Tankstellen sind verpachtet; die deutsche Tamoil selbst beschäftigt weniger als 100 Mitarbeiter. Der Umsatz der Gruppe beträgt laut Medienberichten rund 1,6 Milliarden Euro.

Versorgt werden die Stationen unter anderem von der Holborn-Raffinerie, die im Jahr 2009 rund 5,2 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitete. Holborn ist die größte von drei libyschen Raffinerien in Europa; die anderen beiden liegen in der Schweiz und Italien. Die Hamburger Raffinerie ist über eine 147 Kilometer lange Pipeline an das Ölterminal in Wilhelmshaven angebunden, wird aber ebenso per Schiff versorgt. Nach Angaben von Tamoil Europa wird in den drei Raffinerien zu 55 Prozent libysches Rohöl eingesetzt.

Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn ruft schon seit der Eskalation in dem Wüstenstaat und den brutalen Angriffen von Gaddafi-Truppen gegen die Aufständischen zum Boykott von Tamoil-Benzin auf. «Man sollte nicht mehr bei Tamoil tanken.» Das sei zwar als Autofahrer nur ein symbolischer Akt, aber immerhin besser als gar nichts zu tun.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte vor dem EU-Gipfel in Brüssel härtere Wirtschaftssanktionen gegen das Gaddafi-Regime. In einer Regierungserklärung im Bundestag forderte sie ein «komplettes Ölembargo und weitreichende Handelseinschränkungen» gegen Libyen. «Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt endlich eine gemeinsame Haltung erreichen.» Bislang bremst besonders Frankreich.

Kommt das Öl-Embargo doch noch, würde den Tamoil-Raffinerien wohl bald der Nachschub ausgehen. Für die deutschen Autofahrer wäre das zu verschmerzen. Bundesweit gibt es über 14 700 Tankstellen, ein Versorgungsnotstand wäre nicht zu befürchten.

Konflikte / Öl / Libyen
24.03.2011 · 22:57 Uhr
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