Schüsse, Blut und Panik: Kiews Zentrum wird zur Todesfalle

Kiew (dpa) - Das Zentrum von Kiew gerät für Dutzende Menschen zur Todesfalle. In der ukrainischen Hauptstadt feuern Unbekannte auf Regierungsgegner wie auf Sicherheitskräfte. Es gibt Dutzende Tote an diesem blutigen Donnerstag.

Verzweifelt versuchen Demonstranten, sich mit Helmen und selbst gebauten Schilden vor den Kugeln zu schützen. Aber oft vergeblich: Immer wieder sinken sie getroffen zu Boden und werden von ihren Mitstreitern hektisch aus dem Schussfeld gezogen. Die Szenen erinnern an einen Bürgerkrieg. Im Internet kursieren Videos von mutmaßlichen Scharfschützen - Maskierte mit gelben Armbinden.

«Mit einer einzigen Kugel» seien viele Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan erschossen worden, sagt der freiwillige Arzt Dmitri Kaschin. «Niemand hat zwei oder drei Wunden.» Das spräche für Profis, die auf Hunderte Meter genau treffen. In einem Schnellrestaurant richten Helfer ein provisorisches Erste-Hilfe-Lager ein. Dass die Opposition und Präsident Viktor Janukowitsch erst am Vorabend einen Gewaltverzicht vereinbart haben, erscheint völlig absurd angesichts der Bilder von Blut und Chaos.

Doch wer hinter den tödlichen Schüssen steckt, ist nach wie vor völlig unklar. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld. Am Abend räumt das Innenministerium zwar ein: Ja, die Polizei hat geschossen. Aber: Nur zur Selbstverteidigung gegen Angriffe der Radikalen.

Nach Ansicht von Beobachtern kommen auch Mitarbeiter des Geheimdiensts SBU oder bezahlte Provokateure von Regierungsseite infrage. Gerüchteweise handelt es sich sogar um Spezialeinheiten aus dem Nachbarland Russland, die auf alle feuern und damit für Chaos sorgen sollen. Und die Panik greift in der Millionenmetropole in der Tat immer mehr um sich.

In Geschäften gibt es Hamsterkäufe, an Tankstellen bilden sich lange Schlangen. Viele Einwohner fliehen geradezu aus der Stadt, die Straßen sind verstopft. Schwarzer giftiger Qualm steigt über dem Maidan auf. Immerhin fährt am Abend die U-Bahn wieder, die Hauptschlagader.

Nur wenige Hundert Meter von den Gewaltexzessen entfernt spricht Janukowitsch stundenlang mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sowie dessen Kollegen aus Polen und Frankreich. Er telefoniert mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber öffentlich meldet sich der Staatschef nicht zu Wort. Der Präsident, so formulieren es Kritiker, entzieht sich in der wohl schwersten Stunde seit der Unabhängigkeit 1991 der Verantwortung.

Mehrere Abgeordnete treten aus Janukowitschs Partei der Regionen aus, die - gemeinsam mit den regierungstreuen Kommunisten - noch die Mehrheit im Parlament hält. Es gibt Berichte über Massenfluchten, Minister bringen angebliche ihre Familien in Sicherheit. 64 Abflüge von Privatmaschinen zählt der Stadtflughafen Schuljany.

An der Obersten Rada eröffnen Oppositionsmitglieder um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko und Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk, aber auch regierungsnahe Abgeordnete eine Sondersitzung. Sie wollen etwa Verfassungsänderungen besprechen und damit die Vollmachten des Präsidenten beschneiden. Aber bis zum Abend scheint es sehr unklar, ob sie überhaupt das nötige Quorum für Beschlüsse erreichen.

«Wir sehen die Situation außer Kontrolle», muss Klitschko einräumen. Aber alle Appelle der ohnehin gespaltenen Opposition verpuffen. Eine politische Lösung der beispiellosen Krise scheint in weiter Ferne. Die im Volk beliebte Oppositionsführerin Julia Timoschenko macht aus der Haft gegen ihren Erzfeind Janukowitsch Front. Und die oft paramilitärisch gekleideten Radikalen auf der Straße, die möglicherweise selbst scharfe Munition einsetzen, hören ohnehin nicht mehr auf die Politiker. «Tod Janukowitsch!», fordern sie in Sprechchören auf dem Maidan.

Hunderte Mitglieder der selbst ernannten Selbstverteidigungskräfte stürmen vormittags gegen die Polizeiketten im Regierungsviertel vor. Ein Hauch von Umsturz liegt zeitweise in der Luft. Einige Milizionäre - junge Rekruten, gerade 18, 19 Jahre alt - geraten in Panik und ergeben sich zu Dutzenden.

Und im Rest des Landes droht nun auch immer stärker die Eskalation. Besonders im antirussisch geprägten Westen, rund um die Großstadt Lwiw (Lemberg) mit ihrer malerischen Altstadt, sehen sich die Regierungsgegner im Aufwind. Ganze Polizeieinheiten laufen über. Auf der Halbinsel Krim, einem beliebten Ferienparadies, hingegen drohen moskautreue Kräfte bereits damit, sich wieder Russland anzuschließen - falls Präsident Janukowitsch stürzt.

Demonstrationen / Ukraine
20.02.2014 · 21:06 Uhr
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