Papst Benedikt ermahnt die Politik

Berlin (dpa) - Papst Benedikt XVI. hat seinen historischen Deutschlandbesuch mit Appellen zu mehr Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung begonnen.

Im Bundestag forderte er die Politiker am Donnerstag auf, konsequent für das Wohl der Menschen einzutreten: «Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen.» 61 000 Menschen feierten das Kirchenoberhaupt am Abend im Olympiastadion, Tausende demonstrierten in der Innenstadt gegen den Staatsgast aus Rom.

Der 84-Jährige fuhr vor der Messe mit dem Papamobil durch das Stadionrund und segnete mehrere Babys, die ihm ins Auto gereicht wurden. Jubelnde Anhänger schwenkten Fahnen in den Vatikanfarben gelb-weiß, immer wieder brandete Applaus auf. Auch Bundespräsident Christian Wulff, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) und viele Kabinettsmitglieder kamen zum Gottesdienst, den der Papst teilweise in lateinischer Sprache zelebrierte.

Benedikt rief die Katholiken auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. «Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen», beklagte er. Auf den Missbrauchskandal ging er nicht direkt ein; er forderte die Menschen aber auf, die Kirche nicht zu verlassen, sondern sich gegenseitig zu bestärken.

Wulff hatte bei der Begrüßung vor dem Schloss Bellevue am Vormittag konkrete Verbesserungen im Miteinander von Katholiken und Protestanten angemahnt. Die Ökumene ist ein Schwerpunkt der Deutschlandreise Benedikts. «Das Trennende zwischen den christlichen Kirchen bedarf der Begründung, nicht das Gemeinsame. Und deswegen haben wir hier noch sehr viel zu tun.» Ähnlich äußerte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU).

Wulff ging auch auf die Probleme wiederverheirateter Geschiedener ein, denen die katholische Kirche die Kommunion verweigert. Indirekt erwähnte er die vielfachen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen. Wulff ist selbst Katholik, geschieden und in zweiter Ehe verheiratet. Die Kirche sei herausgefordert von Fragen wie: «Wie barmherzig geht sie mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern?»

Bei einem Treffen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland wurde die große Nähe von Christentum und Judentum hervorgehoben. «Das Heil kommt nun einmal von den Juden», zitierte Benedikt die Bibel. Der biblische Jesus war Jude.

9000 protestierten in Berlin gegen den Besuch, der den Papst bis Sonntag noch nach Erfurt, in das Eichsfeld und nach Freiburg führt. Die Veranstalter hatten ursprünglich mit 20 000 Demonstranten gerechnet.

Beim ersten Auftritt eines Papstes im Bundestag ging Benedikt nicht direkt auf die ethischen Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein. In einer stellenweise professoral wirkenden Rede betonte er aber: «Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen.» Politiker und Wissenschaftler seien daher besonders gefordert, ihre Entscheidungen auch moralisch zu bedenken.

Die meisten Abgeordneten hießen das Kirchenoberhaupt stehend mit viel Applaus willkommen. Einige Dutzend der 620 Parlamentarier - deutlich weniger als angekündigt - blieben fern, weil sie den Auftritt des Papstes für unvereinbar mit der religiösen Neutralität des Staates halten.

Missbrauchsopfer der katholischen Kirche reagierten enttäuscht. Der Papst habe im Bundestag über Macht und Recht gesprochen, sei aber auf seine Rolle als Mächtiger nicht eingegangen, kritisierte Matthias Katsch, Sprecher der Organisation «Eckiger Tisch», in dem sich Missbrauchsopfer aus Jesuitenschulen zusammengeschlossen haben.

Nur auf dem Flug nach Deutschland sprach Benedikt den Missbrauchsskandal direkt an. Die Kirche müsse lernen, solche Skandale auszuhalten und jeden Missbrauch zu bekämpfen. Er könne verstehen, dass Menschen, die den Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester nahestünden, nicht mehr in dieser Kirche sein wollten. Ob er im Verlauf der viertägigen Reise Opfer treffen wird, ist unklar.

Die Erwartungen an den Besuch des Pontifex sind groß. Denn die katholische Kirche, mit 24,6 Millionen Mitgliedern größte Religionsgemeinschaft in Deutschland, steckt in einer tiefen Krise. Der Missbrauchsskandal, verkrustete Strukturen, Priestermangel und ein althergebrachtes Frauenbild: Mehr als 180 000 Katholiken traten im Vorjahr aus der Kirche aus.

Wulff, seine Ehefrau Bettina sowie Merkel hatten den Papst am Morgen auf dem Flughafen Berlin-Tegel begrüßt. «Willkommen zu Hause, Heiliger Vater», sagte Wulff. Das Wachbataillon der Bundeswehr ehrte den deutschen Papst bei seiner Ankunft auf dem Rollfeld mit 21 Salutschüssen.

Die Berliner Innenstadt glich einer Hochsicherheitszone. Im Regierungsviertel wurden Gullydeckel verschweißt, Absperrgitter errichtet und weiträumige Parkverbote verhängt. Die Polizei forderte Anwohner an den Strecken auf, Fenster zu schließen und Balkone zu meiden.

Auch an den anderen Reisezielen des Papstes gilt die höchste Sicherheitsstufe - wie bei einem Besuch von US-Präsident Barack Obama. Die Polizei bietet insgesamt mindestens 16 000 Beamte auf.

Kirchen / Papstbesuch
22.09.2011 · 22:39 Uhr
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