Verkaufsoffene Sonntage teils verfassungswidrig

Karlsruhe (dpa) - Verkaufsoffene Sonn- und Feiertage sind in Deutschland nur in Ausnahmefällen zulässig - das großzügige Ladenöffnungsgesetz in Berlin ist teils verfassungswidrig.

Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts garantiert das Grundgesetz den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe.

Die Freigabe aller vier Adventssonntage in der Bundeshauptstadt für den Konsum ist damit nicht vereinbar, entschied das Gericht am Dienstag in Karlsruhe. Denn Ausnahmen vom Sonntagsschutz müssten gut begründet werden, das bloße «Shopping-Interesse» der Konsumenten genüge dafür nicht.

Damit gab das Karlsruher Gericht einer Klage der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin teilweise statt. Bis Weihnachten dürfen die Berliner Läden allerdings noch am Sonntagsverkauf festhalten.

Das Urteil stieß überwiegend auf Zustimmung. «Ich freue mich über das Urteil und ich bin erleichtert, weil die christlich geprägte Feiertagskultur in unserem Land dadurch ganz klar gestärkt wird», sagte Margot Käßmann, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Deutschen Presse-Agentur dpa. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, würdigte das Urteil als Zeichen gegen eine Dominanz des Kommerzes. «Durch das Urteil wird klargestellt, dass der Sonntag nicht ein Tag wie jeder Werktag sein kann, sondern andere Werte im Vordergrund stehen. Der Sonntag muss verstärkt wiederentdeckt werden, nicht nur als Tag der seelischen Erhebung, sondern auch als Tag der Besinnung, wovon und wofür wir leben», sagte er der dpa.

Die Berliner Landesregierung will das Gesetz voraussichtlich im Frühjahr 2010 ändern. Nach Einschätzung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) sind - wie bisher - auch weiterhin insgesamt zehn verkaufsoffene Sonntage in der Hauptstadt möglich. Auch die Öffnung an ein oder zwei Adventssonntagen sei nicht ausgeschlossen.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) plädierte auf «bild.de» für eine Begrenzung auf vier Sonntage, «mehr finde ich nicht akzeptabel». Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht Auswirkungen für andere Bundesländer. Das heiße aber nicht, dass nun pauschal alles auf dem Prüfstand stehe.

Nach den Worten des Ersten Senats folgt der Sonntagsschutz aus dem sogenannten Weimarer Kirchenartikel 139, der aus der Reichsverfassung von 1919 ins Grundgesetz übernommen worden war. «Grundsätzlich hat die typische werktägliche Geschäftigkeit an Sonn- und Feiertagen zu ruhen», heißt es in dem Grundsatzurteil. Ausnahmen seien nur zugunsten mindestens gleichwertiger Rechtsgüter zulässig. Ein rein wirtschaftliches Umsatzinteresse des Einzelhandels und ein alltägliches Einkaufsbedürfnis der Konsumenten reichten dafür nicht aus. EU-rechtliche Bedenken gegen einen national geregelten Sonntagsschutz bestehen nicht.

Nach dem seit November 2006 geltenden Ladenöffnungsgesetz - dem bundesweit liberalsten - dürfen die Geschäfte in der Bundeshauptstadt an bis zu acht Sonntagen jährlich flächendeckend sowie in einzelnen Läden an zwei weiteren Sonntagen etwa bei Firmenjubiläen oder Straßenfesten öffnen. Karlsruhe kippte die Adventsregelung, billigte jedoch die übrigen Vorschriften - mit der Einschränkung, die Öffnung auf die Zeit zwischen 13.00 und 20.00 Uhr zu begrenzen. (Az: 1 BvR 28/07 u. 2858/07 vom 1. Dezember 2009)

Nach den Worten von Margot Käßmann geht es nicht nur um den Gottesdienst, sondern auch um verlässliche gemeinsame Zeiten: «Das Urteil hat auch darüber hinaus Bedeutung, weil ein Rhythmus von Arbeit und Freizeit wichtig ist, sonst unterliegen wir alle irgendwann einem kollektiven Burnout-Syndrom.» Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi sind Ruhepausen «ein elementarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens».

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht dagegen einen «echten Rückschritt» für die Förderung der Wirtschaftskraft Berlins. Als Tourismusmetropole habe die Hauptstadt gute Erfahrungen mit dem Sonntagsverkauf gemacht. Die Berliner Industrie- und Handelskammer warnte, die Metropole drohe im internationalen Vergleich der Einkaufshauptstädte an Boden zu verlieren. Der Mainzer Professor Friedhelm Hufen, juristischer Vertreter des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels, sieht allerdings nach wie vor großen Spielraum für verkaufsoffene Sonntag. «Selbst die Öffnung an Adventssonntagen bleibt möglich, es dürfen nur nicht vier hintereinander sein», sagte er der dpa.

Die Einwände der Karlsruher Richter richten sich vor allem gegen eine flächendeckende Ladenöffnung an mehreren Sonntagen hintereinander. Die Freigabe eines geschlossenen Zeitblocks von etwa einem Zwölftel des Jahres sei nicht mit dem Schutz der Sonntagsruhe vereinbar. Neben Berlin sehen auch die Ladenschlussgesetze von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt keinen besonderen Schutz für die Adventssonntage vor.

Für Beschäftigte anderer Branchen ändert sich nach dem Urteil zunächst nichts. «Auf die Arbeit im Krankenhaus zum Beispiel hat das keine Auswirkungen», sagte der Arbeitsrechtler Michael Henn dem dpa- Themendienst. Willkürliche Sonntagsarbeit sei zwar verboten, Ausnahmen etwa für Pflege, Rettungsdienst oder Bäcker seien aber erlaubt.

Umstritten war im Ersten Senat, ob die Kirchen aus eigenem Recht den Sonntagsschutz überhaupt einklagen können. Drei der acht Richter stimmten dagegen, weil sie den Sonntagsschutz nur als «objektiv- rechtliche» Pflicht ansahen.

Prozesse / Kirchen / Einzelhandel
01.12.2009 · 17:57 Uhr
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