Reiche fordert wirtschaftspolitische Kehrtwende – schneller, mutiger, steuerlich entlastender
„Das ist die schwerste Wirtschaftskrise, die die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat“, sagt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) – und markiert damit einen klaren Bruch mit der Linie ihres Vorgängers. Am Tag des Familienunternehmens in Berlin zeichnet die Ministerin ein alarmierendes Bild: eine von Rezession erdrückte mittelständische Wirtschaft, steigende Insolvenzen, schrumpfende Innovationskraft. Die jüngste Konjunkturprognose der Bundesregierung erwartet das dritte Jahr in Folge ohne Wachstum – für Reiche ein inakzeptabler Zustand.
Der politische Hebel, den Reiche ansetzen will, liegt bei der Unternehmensbesteuerung. Zwar hatte die CDU im Koalitionsvertrag mit der SPD nur eine moderate Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 durchgesetzt – jährlich um einen Prozentpunkt von derzeit 15 auf zehn Prozent bis 2032. Reiche will nun aber deutlich schneller und umfassender entlasten: „Ich werde alles dafür tun, dass es mehr wird.“ Schon nächste Woche sollen Details zu sogenannten Turboabschreibungen folgen, die der Wirtschaft kurzfristig Liquidität bringen sollen.
Doch in der Sache geht es um mehr als Steuerpolitik. Reiche fordert eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft – mit klarem Fokus auf Wachstum. In ihrer ersten Bundestagsrede stellte sie die rhetorische Frage: „Hat Deutschland das Wachsen verlernt?“ Wachstum komme nicht von selbst, müsse politisch ermöglicht werden, so die Ministerin. Eine Haltung, die auch institutionelle Fragen aufwirft. Reiche kündigte an, künftig genau zu beobachten, ob andere Ministerien die wirtschaftspolitische Wende mittragen. Besonders beim geplanten Mindestlohn von 15 Euro setzt sie auf die Tarifparteien – nicht auf gesetzliche Festlegungen durch das Arbeitsministerium.
Neben der nationalen Steueragenda versucht Reiche auch Einfluss in Brüssel zurückzugewinnen. Beim EU-Handelsministerrat war sie in dieser Woche erstmals präsent. Ihre Kritik am geplanten EU-Lieferkettengesetz ist deutlich: Die Berichtspflichten des nationalen Gesetzes sollen gestrichen werden, die europäische Richtlinie müsse „bürokratiearm“ umgesetzt werden. Eine vollständige Abschaffung – wie von Kanzler Merz ins Spiel gebracht – ließ sie offen, forderte aber: „Brüssel muss sich bei der Umsetzung zurücknehmen.“
Dass Reiches Ministerium durch Ressortzuschnitte an Einfluss verloren hat, ist kein Geheimnis. Doch die Ministerin will das Wirtschaftsressort zur Steuerungszentrale für Wachstum machen – als „Katalysator für wirtschaftliche Erneuerung“. In der Substanz sei Deutschland stark, meint sie. Jetzt gehe es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen diese Stärke wirken könne.
Der politische Subtext: Reiche setzt die SPD unter Zugzwang. Sie fordert Klarheit beim Koalitionspartner – etwa beim Lieferkettengesetz, bei Investitionsbedingungen oder bei der steuerlichen Entlastung. Und sie setzt auf Tempo. Denn die wirtschaftliche Lage dulde keinen Aufschub.