Porträt: Reformerin mit Charme
Auf ihre sympathische Art eroberte die Mutter von vier erwachsenen Töchter die Herzen vieler Menschen und verbarg auch nicht Schicksalsschläge wie eine Krebserkrankung und ihre Scheidung nicht. Mit ihrer Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr stieß Käßmann seit Jahresbeginn auf für sie ungewohnt heftigen Protest. Die bislang schwierigste Prüfung für sie in Kirchenämtern wird allerdings der Umgang mit ihrer Alkoholfahrt, bei der sie mit 1,54 Promille gestoppt wurde.
Mit der Wahl der populären Käßmann als erster Frau an die Kirchenspitze hatte die EKD Modernisierungswillen bewiesen. Zugleich war die Entscheidung für eine starke Führungsperson eine Notwendigkeit: Die Kirche ist in der Krise - nicht nur, weil die Wirtschaftslage die Steuereinnahmen einbrechen lässt. Seit Jahren schrumpft die Zahl der Mitglieder und die Prognosen sagen weitere dramatische Rückgänge voraus. Käßmann wird die Weitsicht und Durchsetzungskraft zugetraut, die nötig sind, um die von ihrem Vorgänger Wolfgang Huber angestoßenen Strukturreformen der Kirche weiterzuführen.
Bisher hatte Käßmann meist in sozialen Fragen das Gehör der Politik gesucht, sei es in Sachen Kinderarmut, Pflegenotstand oder bei der Behandlung von Flüchtlingen. Ihr offener Umgang mit einer Krebserkrankung stieß auf Sympathie und bei ihrer Ehescheidung pochte sie auf Wahrhaftigkeit, sich zu verstellen und eine heile Welt vorzugaukeln, sei falsch. Auch eine Kirchenvertreterin könne als Mensch scheitern, hatte sie für sich geltend gemacht - und trotz mancher Kritik hinter den Kulissen geschlossenen Rückhalt in der Kirche erhalten.
Die im oberhessischen Marburg geborene Käßmann (51) studierte in Tübingen, dem schottischen Edinburgh, Göttingen und Marburg. Sie war Mitglied im weltweiten Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen und Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. In ihrer Freizeit spielt sie mit ihrem Hund und joggt um den Maschsee in Hannover.