Indiens politisches Schicksal in der Mache: Parlamentswahlen unter globalen Blicken
Mit einer beispiellosen Wahlberechtigung von fast 970 Millionen Bürgerinnen und Bürgern hat in Indien ein mehrwöchiger demokratischer Marathon begonnen, bei dem sich die Bühne für die Zukunft der größten Demokratie der Welt bereitet wird. Die Wahllokale, von denen es landesweit über eine Million gibt, haben ihre Pforten geöffnet, um die Stimmen für die Besetzung des 543 Sitze starken Unterhauses, der Lok Sabha, zu sammeln. Experten prognostizieren einen erneuten Sieg der hindunationalistischen BJP, die unter Premierminister Narendra Modi das Land seit einem Jahrzehnt führt.
Modi, dessen Popularität ungebrochen scheint, strebt weitere fünf Jahre im Amt an. Seine Regentschaft zeichnete sich durch einen wirtschaftlichen Aufstieg Indiens zur fünftgrößten Volkswirtschaft weltweit aus – ein Magnet für Investitionen. Unter seiner Ägide flossen substantielle Investitionen in die Modernisierung von Infrastrukturprojekten wie Straßenbau, Schnellzugnetze und Flughäfen. Allerdings stoßen Modis Erfolge auch auf Kritik. Die oppositionellen Stimmen sehen ein ungleich verteiltes Wachstum, betonen die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie das Korruptionsproblem und bemängeln die Inflation.
Die BJP zeigt sich von alledem unbeeindruckt und zuversichtlich für die Wahl, die wegen der enormen geographischen und demographischen Dimension Indiens in sieben Etappen abläuft. Kritische Meinungen, wonach Modi staatliche Behörden zu seinen Gunsten und gegen die Opposition einsetze, begleiten den aktuellen Wahlkampf. Die Verhaftung mehrerer Oppositionspolitiker aufgrund von Korruptionsanklagen sorgt für zusätzlichen Zündstoff.
Der Herausforderer aus dem Lager der Kongresspartei, Rahul Gandhi, und seine Alliierten scheinen indes mit der gefestigten Position Modis und seiner BJP kaum mithalten zu können. Die Kongresspartei, die vor Modi lange das politische Indien anführte, steht einem wiederaufgestiegenen, selbstbewussten und weltweit immer einflussreicheren Indien gegenüber. Die internationale Gemeinschaft sucht vor allem im Kontext des erstarkenden Chinas den Schulterschluss mit Indien.
Die Zeitschrift "Foreign Affairs" zeichnet ein düsteres Bild der demokratischen Lage Indiens unter Modi und konstatiert eine Erosion der Unabhängigkeit öffentlicher Institutionen sowie die Formung eines ausgeprägten Personenkults um Modi. Die Kritik Gandhis, der in der ausschließlich Hindu-zentrierten Politik der BJP die Gefahr der Marginalisierung anderer religiöser Gemeinschaften und der Aushöhlung demokratischer Prozesse sieht, bleibt nicht ungehört. Doch die angestrebte Verfassungsänderung der BJP scheint trotz Ambitionen aktuell in weiter Ferne – eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit wäre hierfür erforderlich.
Ob und wie die politische Landkarte Indiens sich neu gestalten wird, hängt nun von den kommenden sechs Wochen ab. Die Welt sieht einem Subkontinent entgegen, dessen politisches Erdbeben globale Auswirkungen zeitigen könnte. (eulerpool-AFX)