Gekaufte Wertungen: Noch immer gängige Praxis bei Videospielmagazinen?

Werden im Jahr 2014 noch immer hinter verschlossenen Türen Wertungen verkauft? Kann man den großen Videospielmagazinen und ihren Tests trauen? Man könnte meinen, dass dieses Thema bereits ausgelutscht ist, doch Anfang 2014 kam es erneut zu Spekulationen, als David Hain in seinem YouTube-Channel folgende Aussage tätigte (ab Minute 2:00):

„Und am Ende kommt dann der Chef und sagt ‘Hey, wir haben übrigens die Wertung an den Publisher längst verkauft – es ist egal was du gibst’.”

David zufolge ist das keine überspitzte Darstellung, sondern soll dem ehemaligen GIGA-Chefredakteur und Gamona-Angestellten tatsächlich so passiert sein. Wie zu erwarten wird nicht explizit erwähnt, ob sich dieser Vorfall in der GIGA- oder Gamona-Redaktion ereignet haben soll. Im Anschluss an das Video wurde der ehemalige GameStar-Redakteur Fabian Siegismund eingeladen, um diverse Fragen der Fans zu diesem Thema zu beantworten. Herausgekommen ist ein interessantes Gespräch mit vielen Einblicken in die dunkle Seite der Branche, die ich zusätzlich um eigene Erfahrungen ergänzen möchte.

So wurde unter anderem der kritische Herbst von 4Players angesprochen: Im Jahr 2006 wurde erstmals belegt, dass es Bestechungsversuche innerhalb der Branche gibt, um eine positive Berichterstattung zu erwirken. Ein Publisher ging sogar soweit, einem deutschen Verlag eine Gewinnbeteiligung von 2 Euro pro verkauftem Spiel zuzusichern! Dass eine objektive, unabhängige Berichterstattung damit unmöglich gemacht wird, brauche ich hoffentlich nicht extra zu erwähnen. Oder um es mit den Worten von 4Players zu formulieren:

„Da lohnt sich der Hype in Previews, Specials und Reviews erst richtig…“

Fairerweise muss man sagen, dass der kritische Herbst nun ganze 8 Jahre zurückliegt. Man könnte meinen, dass die aufgedeckten skandalösen Praktiken einiger Publisher so viel Sprengkraft besessen haben, dass man zukünftigen Wertungsmanipulationen einen Riegel vorgeschoben hat. Nichts da! So sagt David Hain weiter:

„Ich weiß auch, dass das Magazin, wofür ich damals gearbeitet habe, dass auch da solche Angebote wohl eingegangen sein müssen.“

Wieder ist unklar, ob in diesem Falle GIGA oder Gamona gemeint ist. Jedoch steht fest: Bestechungsversuche jeglicher Art gibt es auch heute noch und David zufolge hat einer seiner ehemaligen Arbeitgeber die Wertung in einem Fall verkauft.

Neben direkten Bestechungsversuchen gibt es auch die indirekte Bestechung in Form von Manipulationsversuchen und Drohungen. So kann es vorkommen, dass das Telefon klingelt und der Publisher am anderen Ende der Leitung sitzt, wenn die Wertung einmal nicht passt. Als Beispiel für diesen Fall wird Homefront und THQ genannt. Interessanterweise hatte ich mit THQ zu einem anderen Spiel ebenfalls eine Wertungsdiskussion, wobei der zuständige PR-Manager von Anfang an klargestellt hat, dass er keinesfalls Einfluss auf die Berichterstattung nehmen möchte – es ginge ihm lediglich darum zu verstehen, wie die Wertung zustande kam, weil sie seiner Auffassung nach zu gering war. Ich wurde zu nichts genötigt und seien wir ehrlich: Der Job eines guten PR-Managers ist es eben für gute Bewertungen zu sorgen und als Redakteur sollte man gegen latente Manipulationsversuche aller Art resistent sein.

Wenn es zu Drohungen oder Erpressungen kommt, sieht die Sache aber anders aus. Mit so einem Fall wurde ich zum Glück noch nie konfrontiert, David und Fabian plaudern aber aus dem Nähkästchen und erzählen von Situationen, in denen der Publisher bei schlechten Wertungen damit gedroht hat die nächsten 6 Monate keine Werbeanzeigen mehr zu schalten, die Bemusterung zu verweigern oder ganz einfach die Publikation von Presseveranstaltungen auszuschließen. David zufolge hatte GIGA „Probleme mit EA“, wobei er nicht näher auf die Probleme eingegangen ist. Über die allgemeine Situation sagt er:

„Wenn du versuchst deinen Mann zu stehen, dann gibt es keine Muster mehr; die [Publisher] versuchen die Leute zu erpressen.“

Magazine sind für Erpressungen dieser Art besonders anfällig, weil man in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Publisher steht. Die Publisher brauchen gute Tests, die Magazine im Vorfeld ihre Muster.

Über das Abhängigkeitsverhältnis, den ständigen Druck und die Manipulation im Hintergrund sagt David:

„Das hat mich über die Jahre krank gemacht. Ich fand das widerwärtig, wie das abgelaufen ist zum Teil.“

Bevorzugung beim Embargo

Ich habe im Laufe der Jahre viele Geschichten über die unorthodoxen Praktiken in der Videospielindustrie gehört. So zum Beispiel zum Thema Embargo: In der Regel erhalten alle relevanten Videospielmagazine ihre Rezensionsexemplare vor Release, um das Spiel ausgiebig zu testen, und an Tag X um Y Uhr dürfen alle Reviews online gehen bzw. veröffentlicht werden. Print-Magazine haben in der Regel ein verfrühtes Embargo-Datum, was ihrem Medium geschuldet ist, schließlich ist auch irgendwann Redaktionsschluss und das Magazin muss in Druck gehen. Aber alle Magazine (egal ob Online oder Print) haben sich an das Embargo-Datum zu halten, richtig? Denkste! In der Praxis gibt es oftmals ein Magazin, dass ihren Testbericht vor allen anderen veröffentlichen darf. Woher kommt diese Bevorzugung und wie ist sie legitimiert? Ich habe mehrfach gehört, dass einigen Medien das Muster frühzeitig zugespielt wird und man die Sache mit dem Embargo nicht so eng sieht, wenn man eine positive Berichterstattung mit einer Wertung von über X (in den meisten Fällen wohl 90 Prozent) zusichern kann. Das erklärt auch, dass die ersten Reviews zu kommenden Spielen meist positiv und gut ausfallen und sich der Metacritic-Durchschnittswert erst verspätet nach unten korrigiert.

“Wenn ein Medium also einen Test vor wirklich allen anderen hat und die Wertung unverschämt gut ist, dann sollten eure Alarmglocken läuten und ihr euch fragen: Wieso hat Magazin X den Test bereits jetzt und sonst niemand anderes?”

Die Sache sieht natürlich anders aus, wenn das Embargo flächendeckend für alle Magazine gilt und die Testberichte wirklich zeitgleich erscheinen.

Reviews ohne das Spiel gespielt zu haben

Ein weiteres interessantes Thema sind die sogenannten Kalttests. So nennt man Testberichte, die geschrieben werden, ohne dass der Tester das jeweilige Spiel je angefasst hat. Ich weiß zu 100 %, dass es sowohl im Online- als auch im Print-Bereich des Öfteren vorkommt, dass Kalttests verfasst werden. Entweder weil die Zeit fehlt oder das Muster nicht rechtzeitig eingetroffen ist. Um die Deadline einhalten zu können, wird der Testbericht dann auf Basis von anderen Reviews und Gameplay-Videos verfasst. Diverse Chefredakteure halten ihre Redakteure sogar dazu an. Dann heißt es: “Wenn du keine Zeit hast, lies dir einfach ein paar andere Reviews durch, schau dir ein paar Let’s Plays an und dann hast du genug Material für den Test — der Test muss bis zu dieser Deadline fertig sein, alles andere interessiert mich nicht!” Gängige Praxis, wie ich im Laufe der Jahre von einigen Branchenkollegen erfahren habe.

WM-Tickets im Tausch für bessere Wertungen

Lang ist’s her, das Sommermärchen 2006 in Deutschland. Damals erzählte mir ein Kollege, dass die zuständige PR-Agentur für einen großen Publisher tatsächlich WM-Tickets im Tausch für eine bessere Wertung angeboten haben soll. Wäre man bereit bei der Wertung 3 Prozentpunkte höher zu gehen, würde sich da was mit den Tickets für ein WM-Spiel in Deutschland machen lassen. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wirklich stimmt und falls ja, ob das Medium diesen Deal eingegangen ist, aber wieso sollte sich jemand sowas ausdenken? Fakt ist zumindest, dass diese Geschichte sich damals erzählt worden ist und auch zu mir durchgedrungen ist.

Gekaufte Wertungen ein Thema bei Next-Gamer?

Wir betreiben Next-Gamer inzwischen seit 8 Jahren und seitdem wir 2006 gestartet sind, gab es in unserer Redaktion nie direkte Drohungen oder Manipulationsversuche seitens der Hersteller. Vielleicht auch aus dem einfachen Grund, weil wir nicht den Stellenwert eines GIGA, Gamona oder Gamestar besitzen. Ich kann mit Gewissheit sagen, dass uns noch nie ein Angebot für gekaufte Wertungen unterbreitet wurde. Aber diese Angebote gibt es, wie 4Players bereits 2006 bewiesen haben und worüber auch David Hain und Fabian Siegismund im Video sprechen.

Next-Gamer finanziert sich ebenfalls durch Werbeanzeigen der Publisher und damit stehen auch wir in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Publishern. Bei uns (wie bei vielen anderen) wird Redaktion und Anzeigenschaltung aber strikt getrennt. Der Anzeigenverkauf findet durch einen dritten Vermarkter statt, sodass wir auch keinen Einfluss auf die Verhandlungen über die Konditionen haben. Demnach gibt es auch keine Möglichkeit über die Anzeigenbuchung direkt Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen.

Mein Ziel ist es mit diesem Artikel auf einige unorthodoxe Praktiken in der Videospielbranche hinzuweisen und für größtmögliche Transparenz zu sorgen. Wenn euch der Artikel gefallen hat, teilt ihn mit Freunden und folgt mir auf Twitter.

Gaming
[next-gamer.de] · 11.11.2014 · 19:39 Uhr
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