China-Sorgen? In der Logistikbranche herrscht sogar China-Boom
Die Entwicklung kommt überraschend. Seit Jahren wird der schleichende Bedeutungsverlust des Hamburger Hafens beklagt – veraltete Infrastruktur, politische Blockaden, strukturelle Abhängigkeit von China. Doch mitten in dieser Phase des Pessimismus zeigt das Tagesgeschäft ein anderes Bild: Die Frachtrouten nach Fernost laufen so stabil wie lange nicht mehr.
Bei der HHLA wuchs das Geschäftsvolumen in den ersten neun Monaten um fast 32 Prozent, die Gewinnmarge liegt über 8 Prozent. Für ein Unternehmen, das lange als Sorgenkind galt, ist das ein bemerkenswerter Sprung. Der neue Vorstandschef Jeroen Eijsink wird die Trendwende kaum selbst ausgelöst haben – er ist erst seit Oktober im Amt –, profitiert aber von Reformen und Einschnitten, die seine Vorgängerin jahrelang unter Widerstand durchsetzen musste. Der wichtigste Treiber aber kommt von außen: China.
Auch bei Hapag-Lloyd zeigt sich ein ähnliches Bild. Konzernchef Rolf Habben Jansen spricht von einem Markt, der „deutlich besser läuft als viele gedacht haben“. Die Containermengen stiegen im bisherigen Jahresverlauf um 9 Prozent. Das China-Geschäft entwickelte sich besonders stark und legte um fast ein Zehntel zu. Trotz sinkender Frachtraten – die Pandemie-Sondersituation ist vorbei – bleiben die Gewinne beachtlich. Für das laufende Quartal zeigt sich Jansen optimistisch wie selten.
Warum brummt das Chinageschäft ausgerechnet jetzt? Experten sehen mehrere Faktoren. Zum einen gibt es einen klaren Vorzieheffekt: Viele Händler in Europa bestellen derzeit mehr Ware als üblich, um möglichen Störungen durch geopolitische Spannungen zuvorzukommen. Auch Umleitungen spielen eine Rolle. Durch höhere US-Zölle landen zunehmend chinesische Waren in Europa, die ursprünglich für den amerikanischen Markt bestimmt waren.
Der Absatzschwerpunkt liegt klar auf der chinesischen Seite. Europas Exporte nach China bleiben schwach, insbesondere in der Auto- und Maschinenindustrie. Im Gegenzug strömen mehr Elektrowaren, Konsumgüter und zunehmend Elektrofahrzeuge nach Europa. Händler füllen ihre Lager vor dem Weihnachtsgeschäft, und die Logistiker profitieren.
Trotz des Booms bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit. Der Branchenanalyst Jan Tiedemann warnt vor Überkapazitäten: Die Reeder haben weltweit neue Schiffe bestellt, teils im hohen zweistelligen Bereich. Hapag-Lloyd allein hat 22 neue Frachter in Auftrag gegeben. Sollte die Nachfrage nicht mithalten, könnten Frachtraten weiter unter Druck geraten.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Europas politische Neuausrichtung gegenüber China. Die Exporte aus China in die EU sind im bisherigen Jahresverlauf zwar um 7,5 Prozent gestiegen, doch ein Teil dieses Anstiegs beruht auf Warenumleitungen aus den USA. Langfristig könnten zusätzliche Handelsbarrieren, geopolitische Spannungen oder neue Zollrunden die Dynamik drehen.
Dass sich das Handelsvolumen kurzfristig stark verändert, erwarten Ökonomen dennoch nicht. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft zeigt sich der Welthandel außerhalb der USA erstaunlich stabil. Indien und Südostasien gewinnen zudem an Bedeutung. DHL kündigte gerade Investitionen von einer Milliarde Euro in indische Logistikzentren an – ein Hinweis auf die Diversifizierungsstrategie vieler Unternehmen.
Für die Logistiker bleibt China dennoch der wichtigste Taktgeber. Und während Industriepolitiker über De-Risking sprechen, zeigen die Zahlen aus Hamburg und der Schifffahrt: Der Handel zwischen Europa und China wächst – nicht schrumpft. Kurzfristig bleibt China für die Branche ein zentraler Wachstumsmotor.


