Analyse: Gefangenenaustausch mit Tragweite

Tel Aviv (dpa) - Der israelische Soldat Gilad Schalit und Hunderte Palästinenser hätten längst frei sein können. Vor drei Jahren hatten Israel und die im Gazastreifen herrschende Hamas bereits 90 Prozent eines Gefangenenaustausch vereinbart, wie der Chef des israelischen Geheimdienstes Schin Bet, Joram Cohen, verriet.

Was hat die Hamas und Israel nun plötzlich zu solcher Eile angetrieben? Mit dem «Arabischen Frühling» hat sich für Israel die Großwetterlage in der Region geändert. Alte Verbündete wie Ägyptens Staatschef Husni Mubarak wurden gestürzt. Weil Israel nicht direkt mit Terroristen verhandelt, stand es vor der Frage, ob es künftig überhaupt arabische Vermittler für einen Austausch geben wird. Oder neue ägyptische Vermittler hätten noch mehr Zugeständnisse verlangt. Zudem bestand die Sorge, dass der vor mehr als fünf Jahren entführte Soldat Schalit in die Obhut des Erzfeindes Iran überstellt werden könnte.

Außerdem hätten die beiden alten Chefs des israelischen Inlands- und Auslandsgeheimdienstes Schin Bet und Mossad den Austausch abgelehnt, analysiert das US-Magazin «Foreign Affairs». Ihre Begründung: Terrorismus und Entführungen dürften nicht belohnt werden. Die Nachfolger hätten hingegen den Austausch unterstützt. Netanjahu habe damit den wichtigen Rückhalt des Sicherheitsapparates gehabt.

Die Sozialproteste haben in der israelischen Gesellschaft Spannungen und Risse offenbart. Der Austausch wurde zu einem Thema, hinter dem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Großteil der Israelis vereinen konnte. Dies könnte auch für kommende Herausforderungen wichtig sein, meinte ein israelischer Militärkommentator. Er spielte dabei auf einen möglichen Waffengang gegen den Iran an. Israel betrachtet das iranische Atomprogramm als derzeit größte existenzielle Bedrohung.

Auch die Hamas stand unter großem Druck. In den Familien der Inhaftierten rumorte es. Außerdem hat die Zivilbevölkerung einen hohen Preis bezahlen müssen. Die Abriegelung des Gazastreifens und Sanktionen Israels haben die Wirtschaft ruiniert. Bei israelischen Militäraktionen starben nach palästinensischen Angaben tausende Menschen. Der Wiederaufbau nach Ende des Gaza-Krieges im Januar 2009 hat überhaupt noch nicht begonnen.

Ägypten hat demonstriert, dass man es trotz aller Umwälzungen nach dem Sturz von Ex-Machthaber Husni Mubarak nicht als politisches Schwergewicht in der Region abschreiben kann. Ein ägyptischer Beamter sagte zudem, dass der aktuelle innenpolitische Konflikt in Syrien den erfolgreichen Abschluss begünstigt habe. «Denn Syrien wollte nie, dass es eine Einigung unter Beteiligung Ägyptens gibt», sagte er.

Israel hat sich am Ende den Forderungen der Hamas beugen müssen - auch weil es dem Geheimdienst nicht gelungen war, Schalit zu befreien. 60 Prozent aller freigelassenen Palästinenser sind nach Angaben von Schin-Bet-Chef Cohen zum Terror zurückgekehrt. Die Hamas hat bereits weitere Entführungen angedroht, um auch die verbliebenen inhaftierten Palästinenser freizupressen.

Die Hamas landete einen Befreiungsschlag. Obwohl ihre beiden Hauptverbündeten Syrien und Iran schwächer geworden sind, kann die zweitgrößte Palästinenserorganisation mit dem Austausch ihre Macht im Gazastreifen festigen und ihr Ansehen im Westjordanland verbessern. Hamas setzt vor allem die moderate Palästinenserführung von Präsident Mahmud Abbas unter Druck. Ihre Argumentation: Mit der Entführung eines Soldaten habe sie mehr erreicht, als Abbas in jahrelangen Friedensverhandlungen mit Israel. Die Hamas meint, dass Gewalt die einzige Sprache sei, die Israel verstehe. Sie will deshalb den bewaffneten Kampf gegen Israel fortsetzen und präsentiert sich als Alternative, die wirklich etwas bewegen kann.

Im kommenden Jahr sollen in den Palästinensergebieten ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt werden. Die Hamas dürfte mit dem Austausch bei Wählern gepunktet haben. Die Zustimmung könnte weiter wachsen, falls Israel die Blockade des Gazastreifen weitgehend aufheben sollte.

Als eine Art Nebenprodukt des größten Gefangenenaustauschs seit 26 Jahren im Nahen Osten kommt nun auch wieder Bewegung in die Friedensverhandlungen. Nach 13 Monaten Eiszeit wollen sich Israel und die Palästinenser erstmals wieder am 26. Oktober zu indirekten Gesprächen mit Hilfe eines Vermittlers treffen.

Konflikte / Nahost
18.10.2011 · 21:41 Uhr
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