Analyse: Brown gewinnt beim Postenpoker
Fast blitzartig, in nur zwei Stunden, einigten sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten in Brüssel auf die Besetzung der mit dem «Lissabon-Vertrag» geschaffenen beiden Spitzenpositionen. Herman Van Rompuy (62), noch nicht einmal ein Jahr lang Regierungschef Belgiens, soll als EU-Ratspräsident hinter den Kulissen für Einheit sorgen und nach Außen der EU ein Gesicht geben. Die britische Labourpolitikerin Catherine Ashton (53), bisher Handelskommissarin der EU, stieg zur neuen EU-«Außenministerin» auf.
Begonnen hatte die vom schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt als Gipfelgastgeber lang ersehnte plötzliche Entscheidungs-Dynamik zwei Stunden vor Gipfelbeginn in der EU-Vertretung Österreichs. Nur zwei Steinwürfe vom Brüsseler Ratsgebäude entfernt hatten sich auf Einladung des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann sieben sozialdemokratische EU-Regierungschefs zum Kungeltreff versammelt. Es ging um die Frage, wen sie für den Posten des EU-«Außenministers» vorschlagen wollten, der nach dem EU-internen Proporz von den Linken besetzt werden sollte.
Der Brite Gordon Brown überraschte die EU-Genossen mit der Mitteilung, er habe eingesehen, dass sein Vorgänger Tony Blair nicht Ratspräsident werden könne. Dann fragte er in die Runde, ob es eine sozialdemokratische Regierung gebe, die Anspruch auf diesen Posten erhebe. Zwar galt bisher der Italiener Massimo D'Alema als aussichtsreichster Kandidat der Sozialisten. Doch die konservative italienische Regierung von Silvio Berlusconi saß nicht am Sozi-Tisch. Brown sagte, wenn niemand anderes Interesse habe, schlage er Catherine Ashton vor. Den Genossen war zweierlei sofort klar: Erstens hatte Brown perfekt gepokert, zweitens war dies die Chance zum Durchbruch.
Denn mit Ashton war endlich auch eine Frau gefunden. Nach der hatte Reinfeldt - unter dem zunehmenden Druck männlichen wie weiblichen Führungspersonals der EU - in den vergangenen Tagen fast verzweifelt gesucht. Und mit Herman Van Rompuy schlug Reinfeldt schließlich einen Kompromisskandidaten als Ratspräsident vor, gegen den kaum jemand Einwände hatte. In elf Monaten als Regierungschef Belgiens hatte sich Van Rompuy keine Feinde machen können. Anders als der seit 14 Jahren amtierende Luxemburger Jean-Claude Juncker, der zwar ein wesentlich profunderer Kenner und Mitgestalter der Europäischen Union ist, aber mit seiner Direktheit vielfach angeeckt ist. Mit Van Rompuy tritt ein eher schüchterner und unauffälliger Mann an die Spitze der EU: Er gilt nicht als jemand, der die nationalen Regierungschefs aus dem Scheinwerferlicht verdrängen könnte.
Der Charme der jetzt gefundenen Personallösung liegt darin, dass sie Teil eines größeren Tableaus ist. Mit den bereits erfolgten Ernennungen von Kommissionspräsident José Manuel Barroso (Portugal) und Parlamentspräsident Jerzy Buzek (Polen) sind Süden und Osten der Union zufrieden, mit Ashton und Van Rompuy kommen ein großes und ein kleines Land aus dem Norden und Westen der EU zum Zuge. Und außerdem ist auch ein Frau dabei.