35 EHEC-Tote, Nieren-Not und holprige Meldewege

Berlin (dpa) - Viele EHEC-Kranke werden ihr ganzes Leben unter den Folgen der Epidemie leiden. «Etwa 100 Patienten sind so stark nierengeschädigt, dass sie ein Spenderorgan brauchen oder lebenslang zur Dauerdialyse müssen», sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der «Bild am Sonntag».

Er kritisierte zudem, dass die Erkrankungen teils per Post gemeldet würden. Chancen auf ein schnelleres System sieht auch das Robert Koch-Institut (RKI).

Am Samstag hatten Behörden zweifelsfrei Sprossen aus einem Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel als Infektionsquelle ausgemacht. Im EHEC-Puzzle fehlen jedoch noch Teile. Wie der Keim in den Betrieb kam, ist beispielsweise offen. Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) sagte dem WDR, die Lieferkette vom Biohof zu den Erkrankten in NRW sei bislang unklar.

Der Darmkeim tötete weltweit inzwischen 35 Menschen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mitteilte. Darunter seien 34 Todesfälle in Deutschland und einer in Schweden. Nach Angaben des RKI und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist es der heftigste jemals registrierte EHEC-Ausbruch auf der ganzen Welt.

Der drohende Nierennotstand verschlimmert ein bekanntes Problem: Bundesweit stehen etwa 8000 Menschen auf der Warteliste für eine neue Niere - wegen ganz unterschiedlicher Krankheiten. Weniger als 3000 Nieren wurden allerdings im vergangenen Jahr verpflanzt, wie aus Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation hervorgeht.

Außer Nierenversagen löst EHEC laut Ärzten schwere neurologische Schäden aus. Mediziner berichteten etwa von Sprachstörungen wie bei einem Schlaganfall oder Zuckungen bis hin zu epileptischen Anfällen.

Die Kritik an Verzögerungen im Meldesystem ist beim RKI ein Thema. «Das soll ja auch auf der politischen Ebene überprüft werden», sagte Sprecher Günther Dettweiler der Nachrichtenagentur dpa. Man müsse darüber sprechen, sobald die Krise vorbei ist. Er räumte ein, dass Informationen auf elektronischem Wege den Empfänger schneller erreichen könnten. Insgesamt gebe es aber «keinen Anlass, sich zu beschweren. Das hat gut funktioniert».

Lauterbach kündigte eine Untersuchung im Gesundheitsausschuss an. «Die Kliniken müssen in Zukunft jeden EHEC-Fall direkt per Mail an das Robert Koch-Institut melden.» Die bisherige Meldekette vom Gesundheitsamt vor Ort über das Landesgesundheitsamt an das RKI dauere mindestens eine Woche.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr forderte ebenfalls bessere Meldeverfahren. «Nach Abklingen des EHEC-Ausbruchs werden Länder und Bund gemeinsam die Arbeit bewerten. Mir ist dabei der Informationsfluss zwischen den Beteiligten besonders wichtig», sagte Bahr der «Bild am Sonntag». Forderungen nach einer zentralen Stelle zur Seuchenbekämpfung erteilte der FDP-Politiker erneut eine Absage.

Lauterbach warnte darüber hinaus vor weiteren Infektionswellen in Deutschland: «EHEC-Erreger sind weltweit auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland wird es künftig immer wieder zu EHEC-Ausbrüchen kommen.»

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) kündigte in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» Konsequenzen für die Lebensmittelüberwachung an. «Einbezogen werden müssen hierbei natürlich auch Importe von Samen aus dem Ausland.» Sie werde auf schärfere Vorschriften für die Sprossenzucht etwa bei der Hygiene drängen. Laut einem Ministeriumssprecher hatte sie schon vor einer Woche die Länder gebeten, schwerpunktmäßig Sprossenproduzenten und -händler sowie deren Produkte zu überprüfen.

Die EHEC-Fahnder hatten am Samstag neue Beweise gegen die verdächtigen Sprossen aus Bienenbüttel gefunden. Zwei weitere Mitarbeiterinnen des Biohofs sind demnach mit dem lebensbedrohlichen Darmkeim infiziert. Das BfR bestätigte zudem, dass der EHEC-Erreger an den Sprossen zweifelsfrei vom selben Typ ist wie die Bakterien, an denen in Deutschland mehr als 4000 Menschen nachweislich erkrankten oder eine Infektion angenommen wird.

Auch die Fälle im Ausland haben laut WHO fast alle eine Verbindung nach Deutschland. Es gebe bislang nur fünf Ausnahmen.

Gemüsebauern fordern unterdessen vollen Schadenersatz. Sie seien nach der Warnung vor rohen Tomaten, Gurken und Salat insbesondere in Norddeutschland völlig unverschuldet in eine existenzgefährdende Situation geraten, denn es habe keine Belege für eine EHEC-Kontamination gegeben. Der Präsident des Provinzialverbandes Rheinischer Obst- und Gemüsebauern, Christoph Nagelschmitz, sagte der dpa: «Deshalb erwarten wir mit vollem Recht den vollen Ersatz der in der Gemüsewirtschaft entstandenen Schäden.»

EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos rechnet am Dienstag mit der Zustimmung der Mitgliedstaaten für das 210-Millionen-Euro-Hilfspaket der Kommission für Landwirte. «Dann könnten wir die ersten Hilfen im Juli abwickeln und auszahlen», sagte er der «Passauer Neuen Presse».

Russland beobachtet die Lage vor einem möglichen Aufheben des Gemüseboykotts weiter. «Wir haben keinen Grund zur Sorglosigkeit», sagte der oberste Amtsarzt Gennadi Onischtschenko am Samstag in Moskau. Russland will die Einfuhr einzelner Gemüsesorten aus den 27 EU-Staaten erst erlauben, wenn diese auf EHEC geprüft wurden und mit einem entsprechenden Laborzertifikat versehen sind.

Gesundheit / Infektionen
12.06.2011 · 17:40 Uhr
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