Spannungsfeld Regierung und Unternehmertum: Ein Dialog auf Distanz zwischen Kanzler und Wirtschaft?

Kanzler und CEOs treffen sich aktuell beinahe täglich, dennoch sind Wirtschaft und Politik aktuell weit voneinander entfernt

Fast täglich treffen sich Kanzler und CEOs. Aber Politik und Wirtschaft sind derzeit weit voneinander entfernt. Eine besonders frustrierte Branche ist die Chemieindustrie.

Dies zeigt sich auch an dem Gipfel mit ihren Chefs, der am Mittwoch stattfinden soll. Anfang der vergangenen Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine vertrauliche Runde im Bundeskanzleramt einberufen. Rund ein Dutzend Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft kamen zusammen, darunter der Gründer von United Internet, Ralph Dommermuth und ein Vertreter der Fiege-Familie, eines der größten Logistiker des Landes.

Themen waren ein Industriestrompreis, die Wohnungsmarktlage und der Umfrageboom der AfD, der dem internationalen Ansehen Deutschlands schadet.

Einige Teilnehmer der Runde berichteten, es soll förmlich geknallt haben zwischen Regierungs- und Wirtschaftsspitze, während Regierungskreise bestritten, dass dies der Fall sei. Doch treffen Kanzler und Wirtschaft aufeinander, sei diese Wahrnehmung unüberbrückbarer. So auch beim Gipfel mit der Bauwirtschaft vergangenen Montag, wo zwei Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und des Eigentümerverbandes Haus & Grund ihre Teilnahme kurzerhand absagten, da sie in der Regierung keine Erkennung der „fatalen Gemengelage“ sahen.

Auch sonst sind die Stimmen aus der Wirtschaft schärfer geworden. Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann warf der Bundesregierung vor, sie tue nicht genug gegen die Wachstumsschwäche und drohe eine De-Industrialisierung.

Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, kritisierte Scholz, er führe zu sanft und leise, statt eine klare Richtung vorzugeben. Diese Tendenz, dass sich CEOs und ein SPD-Kanzler fremdeln, ist nichts Neues.

Da die SPD sich stärker den Arbeitnehmerinteressen zuwendet und auch viele Pläne der Wirtschaft selbst sieht, werden die Forderungen aus der Wirtschaft schnell als Lobbyinteressen abgetan. Hinzu kommt, dass die Politik vielen Szenarien der Wirtschaft misstraut, z.B. denen der Chemiebranche, die eine Energiekrise prophezeit haben.

Aus Sicht vieler Politiker der SPD und der Grünen versucht die Wirtschaft die Krise zu instrumentalisieren, um einen sozialen Kahlschlag durchzusetzen.

DIW-Chef Marcel Fratzscher mahnte die Automobilindustrie, lieber ihre eigenen Fehler zu erkennen, als die Verantwortung allein auf die Politik zu schieben. Offensichtlich haben sich Politik und Wirtschaft voneinander so weit entfernt, dass ein Dialog kaum noch möglich scheint.

Fassungslosigkeit trifft auf Siegfried Russwurm, den Chef des Industrieverbands BDI, seit Anfang 2021. Bisher war er konziliant gegenüber der Bundesregierung aufgetreten, aber nun hat er die Tonlage deutlich verändert: Bei seiner Eröffnungsrede zum BDI-Klimakongress sagte er, „das Licht an immer mehr deutschen Standorten wird buchstäblich ausgeschaltet“, wesentliche Teile der industriellen Produktion stünden auf dem Spiel.

Wenn Konkurrenzfähigkeit abhanden gehe und jede verlässliche Planungsgrundlage fehle, militiere man für kein Ergebnis: „Untergehen wollen wir nicht.“ Selbst differenziert argumentierende CEO's werden deutlich. Beim Handelsblatt Banken-Gipfel sagte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, es gebe eine Reihe struktureller Mängel, und beim Wahlkampf-Besuch von Bundeskanzler Scholz bei der Flugbranche in Hamburg sah er eine weltweite Lösung bei Klimaschutz gefragt.

Ansonsten würde der Industriestandort Deutschland abgehängt.

Bei einer gemeinsamen Präidiumssitzung Öffentlich-Rechtlicher und Privater Arbeitgeberverbände wie dem BDI und der BDA ging es hoch her. Ein Vertreter eines Dax-Unternehmens soll sogar über einen Rückzug aus Deutschland nachgedacht haben. Bei vertraulichen Treffen versuchten Vorstandschefs, etwa Siemens-Chef Busch und Deutsche-Bank-Chef Sewing, dem Kanzler die Ernsthaftigkeit der Lage zu vermitteln.

Kritik über die Ampelkoalition kam auch beim Rundgang der Automesse IAA und beim Chemiegipfel im Kanzleramt, an dem die Hoffnung auf einen rotgrünen „Chemie-Deutschland-Plan“ stark tendierte.

Um Unverständnis in der Wirtschaft zu beseitigen, bemühte sich Wirtschaftsminister Habeck beim BDI um Entspannungssignale: Er betonte, die Chancen auf den Industriestrompreis stünden „fifty-fifty“ und er sei überzeugt, dass Prosperität eine grüne Transformation begleite. Dabei stellt sich die Frage, warum die Regierung die Investitionen für zwei Chipfabriken mit 15 Millionen Euro fördert und über das Wachstumschancengesetz lediglich sieben Millionen Euro mobilisiert!

Auch Gewerkschafter kritisieren den Dauerzwist der Regierungsparteien. Der Eindruck sei, der Wahlkampf laufe unentwegt, meint ein führender Verdi-Vertreter.

Evonik-Chef Kullmann wehrt sich gegen den Vorwurf, die Wirtschaft stimme ein überdramatisches Klagelied an. Er meinte, es sei nur fair, die energieintensiven Unternehmen bei der grünen Transformation zu unterstützen. „Sie und die Arbeitnehmer dürfen nicht die Zeche für eine über Jahre hinweg verfehlte Energiepolitik zahlen“ so Kullmann. Ein Maschinenbau-Chef beklagt, es herrsche Unklarheit, was entschieden und umgesetzt wird und es gebe keine Führung, keine Struktur, nur Zerstrittenheit.

Bei Siegfried Russwurm trifft eine veränderte Tonlage auf Fassungslosigkeit. Er sagte im Hinblick auf Standorte der Industrie: „Wir wollen nicht auf der Strecke bleiben, oder deutlicher ausgedrückt - untergehen.“ CEO's klagen über mangelnde Führung und Struktur. Doch Wirtschaftsminister Robert Habeck sendet Entspannungssignale und betont, die Transformation der Industrie könne nur mit wirtschaftlicher Prosperität gelingen.

Finanzen / Eulerpool Politics
[Eulerpool News] · 27.09.2023 · 16:00 Uhr
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