Gefährdete Meeresströmung: Kipppunkt der Atlantischen Umwälzbewegung näher als vermutet
Die Folgen des Klimawandels werden oft im Kontext des abschmelzenden Polareises und des tauenden Permafrostbodens diskutiert. Doch eine potenziell ebenso dramatische Auswirkung liegt in der Abschwächung der Atlantischen Umwälzbewegung (Amoc), die Wärme von den Tropen in Richtung Nordatlantik transportiert und somit Europas milde Wetterverhältnisse mitbestimmt. Experten warnen davor, dass diese entscheidende Strömung einen Kipppunkt erreichen und innerhalb weniger Jahrzehnte vollständig zusammenbrechen könnte – ein Szenario, das auch bei verbesserten Bedingungen keine Erholung verspräche.
Das Verständnis dieses Strömungssystems wird in wissenschaftlichen Kreisen kontrovers diskutiert, umso mehr, da Hinweise auf eine solche Entwicklung zunehmen. Niederländische Forscher konnten anhand eines komplexen Klimamodells, publiziert in "Science Advances", einen Kollaps der Amoc simulieren und präsentierten zudem einen Ansatz für ein Frühwarnsystem zur Identifikation einer Annäherung an den Kipppunkt der Strömung.
Die prognostizierten Konsequenzen sind gravierend: Einige europäische Städte könnten enorme Temperaturstürze erleben, bis zu 15 Grad innerhalb eines Jahrhunderts, wobei Nordwesteuropa im Winter besonders betroffen wäre. Die Forschung belegt auch, dass ein abruptes Versiegen der Ozeanzirkulation den Meeresspiegel in Europa um bis zu einen Meter anheben könnte, gepaart mit extremen Veränderungen des Klimas und dramatischen Effekten auf Ökosysteme und Landwirtschaft.
Das Zusammenspiel warmer und kalter Wasserströmungen, definiert durch Temperatur- und Salzgehalt, ist der Antrieb der Amoc. Aber genau hier setzt die Klimaerwärmung an und schwächt das System, insbesondere durch den Einfluss zusätzlichen Süßwassers aus Eisabschmelzungen.
Trotz intensiver Forschung bleibt die Frage offen, wann genau ein Zusammenbruch eintreten könnte. Ein Team aus Dänemark legte sich in "Nature Communications" auf einen Zeitraum zwischen 2025 und 2095 fest, allerdings wurde diese Studie von Kollegen kritisiert. Die Unsicherheiten in den Modellen und die Vereinfachung von Annahmen erschweren verlässliche Vorhersagen.
Dennoch betont Johanna Baehr von der Universität Hamburg, dass man die Möglichkeit eines Kollapses nicht mehr ignorieren kann. Die Herausforderung sei es nun, den Zeitrahmen eines möglichen Ereignisses genauer zu bestimmen. Auch der sechste Sachstandsbericht des IPCC legt nahe, dass ein Kollaps vor dem Jahr 2100 unwahrscheinlich ist – und doch bestehen berechtigte Sorgen um die Stabilität der Amoc.
Zusammenfassend bleibt die Amoc ein intensiv diskutiertes Kippelement im Kontext des Klimawandels, dessen tatsächliche Gefährdung nur durch weiterführende, präzise Forschung eingeschätzt werden kann. Für den Klimaforscher Stefan Rahmstorf ist es von größter Wichtigkeit, das Risiko eines Zusammenbruchs zu minimieren, bevor eindeutige Warnsignale bereits zu spät kommen. (eulerpool-AFX)