Analyse: Mehr Gegenwind für die deutsche Wirtschaft
Wiesbaden/Frankfurt (dpa) - Am deutschen Konjunkturhimmel ziehen Wolken auf. Noch trotzt die deutsche Wirtschaft den Turbulenzen der Euro-Schuldenkrise, doch in den kommenden Monaten dürfte sie sich dem Abwärtssog nicht mehr vollständig entziehen können.
Ökonomen sagen zumindest für das dritte Quartal eine Wachstumsdelle voraus. Das Schlimmste - ein Absturz in die Rezession - bleibt Deutschland im Gegensatz zum Euro-Raum aber wohl erspart. «Die Frage einer Rezession stellt sich nicht», meint Volkswirt Christian Schulz von der Berenberg Bank.
Das alles beherrschende Thema ist die Euro-Schuldenkrise. Bereits im zweiten Quartal hielten sich Unternehmen hierzulande mit Investitionen deswegen zurück. Zugleich schwächt sich die Weltkonjunktur ab, was vor allem die Exportnation Deutschland trifft. Zuletzt hatten vor allem gute Geschäfte außerhalb des Euroraums den Export beflügelt und damit zum Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent im zweiten Quartal in Deutschland beigetragen.
Doch selbst die boomende chinesische Volkswirtschaft zeigt erste Anzeichen einer Konjunkturabkühlung. Das Reich der Mitte bestellt weniger aus dem Ausland. Düster sieht es im Euroraum aus, der seit drei Quartalen in Folge nicht mehr wächst. Auch Deutschlands wichtigster Handelspartner, Frankreich, schwächelt: Die Wirtschaft tritt dort auf der Stelle.
Bleibt der Konsum im Inland. Die deutschen Verbraucher lassen sich dank sinkender Arbeitslosigkeit von den Euro-Turbulenzen bisher die Kauflaune nicht verderben. Ob der Konsum allein ausreicht, eine Stagnation oder gar ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft in den kommenden Monaten zu verhindern, scheint indes fraglich. Ökonomen des Bankhauses Lampe rechnen bestenfalls mit einer Stagnation im dritten Quartal.
«Zwar ist die deutsche Wirtschaft nach wie vor sehr wettbewerbsfähig. Aber sie kann sich nicht abkoppeln von der Unsicherheit, die von der Staatsschuldenkrise ausgeht», meint auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Er rechnet damit, dass das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal um 0,1 Prozent schrumpfen könnte. Im Gesamtjahr erwartet die Commerzbank nur noch einen mäßigen Anstieg von 0,5 Prozent.
Deutlich optimistischer ist dagegen Unicredit-Chefvolkswirt Andreas Rees. Er geht davon aus, dass die Wirtschaft im dritten Quartal noch mal um 0,2 Prozent wachsen könnte. Allerdings: «Die Abwärtsrisiken für unsere Prognose sind zuletzt gestiegen», räumt der Ökonom ein.
Die Nachrichten aus Deutschland waren zuletzt nicht allzu gut: Die Industrieproduktion schrumpfte im Juni erneut, der Export erhielt einen Dämpfer und bei den Industrieunternehmen gingen weniger Bestellungen ein als erwartet. Orders aus dem Inland und der von der Schuldenkrise gebeutelten Eurozone sanken. Nur aus Staaten außerhalb des gemeinsamen Währungsraumes kamen mehr Bestellungen. Dabei profitieren die deutschen Unternehmen auch von der Abschwächung des Euro gegenüber Dollar und Co. Produkte «Made in Germany» werden auf dem Weltmarkt dadurch tendenziell billiger.
Entscheidend ist, dass die Politik die Schuldenkrise in den Griff bekommt, da sind sich die Ökonomen einig. «Der weitere konjunkturelle Verlauf hängt wie selten zuvor von politischen Entscheidungen ab. Weniger reden und mehr für die Umsetzung der nationalen Reformen und EU-Beschlüsse tun», rät der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Alexander Schumann. Grundsätzlich habe die deutsche Wirtschaft «das Zeug zum Wachsen».