Hintergrund: Von Guantánamo in eine neue Welt

Berlin (dpa) - Ohne Angst mit Menschen reden, einkaufen gehen oder telefonieren: Für viele ist dies selbstverständlich. Die beiden ehemaligen Häftlinge aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo müssen dagegen nach ihrer Ankunft in Deutschland so manches erst wieder mühsam lernen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Experten appellieren, dass der staatenlose Palästinenser in Hamburg und der Syrer in Rheinland-Pfalz vor allem Ruhe bräuchten, um sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden.

Ihre Situation sei vergleichbar mit der eines «Marsmenschen, der plötzlich vom Himmel auf die Erde fällt», erklärt der Psychiater Ferdinand Haenel. «Wenn sie Menschen begegnen, ist mit einer sehr großen Zurückhaltung, Misstrauen und Kontrollbedürfnis zu rechnen», sagt der Haenel angesichts möglicher Folterungen. Schon eine Befragung oder Untersuchung, um geistige oder körperliche Folgen der langen Haftzeit auszumachen, könnten Erinnerungen an die Verhöre in der Haft wecken. Beide Männer waren fast neun Jahre eingesperrt.

Für seine im Juli veröffentlichte Entscheidung, die beiden Männer aufzunehmen, hatte der CDU-Politiker de Maiziére ungewohnten Applaus von der Opposition und der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekommen. In Unionsreihen hielt sich die Begeisterung dagegen in Grenzen. De Maizière bekräftigte am Donnerstag, dass Deutschland nun keine weiteren ehemaligen Insassen aufnehmen werde. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Monika Lüke, meint hingegen, es spreche nichts dagegen, den «notwendigen Beitrag Deutschlands» zur Schließung des Lagers noch auszuweiten.

Lüke appelliert, mit den beiden Ex-Häftlingen behutsam umzugehen. «Die ehemaligen Häftlinge brauchen nach ihrer Ankunft in Deutschland Ruhe und den Schutz ihrer Privatsphäre», sagt sie. «Diesen Menschen hing jahrelang das Stigma an, "mutmaßliche Terroristen" zu sein - obwohl verschiedene US-Behörden sie übereinstimmend für unschuldig erklärt haben.» De Maizière erklärte im Juli, dass mit «an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» keine Gefahr von ihnen ausgeht. Beide Ex-Gefangene sollen dem Djihad (Heiligen Krieg) abgeschworen haben.

Für ihre Integration in der Bundesrepublik kommt erschwerend hinzu, dass die beiden Männer bislang keinen Bezug zu Deutschland hatten. Sie sprechen ausschließlich Arabisch. Hamburg will dem 34-jährigen Palästinenser deshalb einen arabisch sprechenden Betreuer an die Seite stellen. Beide kommen auf der Grundlage des Paragrafen 22 des Aufenthaltsgesetzes nach Deutschland. Demnach kann einem Ausländer «aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden». Leben sollen sie von Sozialhilfe. Der Aufenthaltsstatus erlaubt es ihnen auch zu arbeiten.

Jedoch dürfen sich beide wohl nur innerhalb des Bundeslandes bewegen, in dem sie nun leben. Das jedenfalls kündigte der rheinland-pfälzische Innenminister Karl-Peter Bruch (SPD) unlängst in einem Interview mit der «Welt» an. Nach seinen Worten kann der Syrer seine Familie - eine Frau und ein Kind - nach Deutschland holen. Obwohl die beiden Männer als ungefährlich gelten, werden die Sicherheitsbehörden aufmerksam sein. «Wir werden ihn nicht rund um die Uhr überwachen. Aber wir werden schon ein Auge darauf haben, was er tut und mit welchen Leuten er Kontakt hat», kündigte Bruch an.

Wo die beiden genau wohnen werden, wird geheim gehalten. Beide Männer hätten ausdrücklich darum gebeten, ohne medialen Druck ins neue Leben starten zu können, bekräftigte de Maizière am Donnerstag. Die ersten Wünsche der Freigelassenen dürften ähnlich aussehen wie die des Deutsch-Türken und gebürtigen Bremers Murat Kurnaz im August 2006. Als dieser nach viereinhalb Jahren in Guantánamo freigelassen wurde, äußerte er folgende Bitten: in Dunkelheit und Ruhe schlafen zu können, essen, duschen und sich anziehen zu dürfen.

Terrorismus / Deutschland / USA
16.09.2010 · 15:23 Uhr
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