Viele offene Fragen im Koalitions-Schlussspurt
In den letzten Sitzungen der Arbeitsgruppen gab es weitere Einigungen - etwa zum gesetzlichen Verbot von sittenwidrig niedrigen Löhnen. Die Klärung der großen Streitthemen Gesundheit und Steuern war am Donnerstag trotz nahezu pausenloser Beratungen weiter offen.
Bei den Sicherheitsthemen gab es dagegen am Abend eine Einigung. So soll die Nutzung von Daten aus der Vorratsdatenspeicherung auf schwere Gefahrensituationen beschränkt werden, sagte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Bei den Internetsperren verständigten sich die Verhandlungspartner darauf, dass das Bundeskriminalamt (BKA) zunächst versuchen soll, kinderpornografische Seiten zu löschen statt zu sperren. Nach einem Jahr sollen die Erfahrungen mit der Löschung ausgewertet werden.
Für heimliche Online-Durchsuchungen von Computern Verdächtiger ist künftig eine Anordnung der Bundesanwaltschaft nötig. Zudem bekommen neben dem BKA keine weiteren Sicherheitsbehörden diese Möglichkeit der heimlichen Computer-Ausspähung.
Bis Freitag nächster Woche soll auch über Verteilung und Besetzung der Ministerien entschieden sein. Die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) richteten sich auf Nachtsitzungen an diesem Wochenende ein. «Das Gesamtbild haben wir noch nicht», hieß es aus der FDP-Führung. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer mahnte die Wunsch-Koalitionspartner, «an einem Strang» zu ziehen.
Steuersenkungen kosten 20 Milliarden
In der Nacht zu Donnerstag wurden die Gespräche der Arbeitsgruppe Steuern und Haushalt nach mehr als achtstündigen Beratungen vertagt. Danach hieß es, dass die geplanten Steuersenkungen allein den Bund weitere rund 20 Milliarden Euro kosten könnten. Der Zwang zur Haushaltssanierung habe sich gleichzeitig weiter verstärkt. Die Schuldenbremse erfordere mehr Sparanstrengungen als angenommen.
Massive Streichlisten gelten aber als eher unwahrscheinlich. Die führenden Wirtschaftsforscher warnten davor, Steuersenkungen nur auf Pump - mit neuen Schulden - zu finanzieren. Kanzleramts-Chef Thomas de Maizière (CDU) und FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms sprachen von Annäherungen. Das Entlastungsvolumen sei Sache der großen Koalitionsrunde. Es könne nur eine Gesamtlösung geben, die eingebettet sei in ein Haushaltskonzept, betonte de Maizière. Wahrscheinlich wird das erst am Mittwoch oder Donnerstag kommender Woche vorliegen.
Gegen «sittenwidrige Löhne» und für längere AKW-Laufzeiten
Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn wird es weiterhin nicht geben. Dafür kündigte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla im ARD-«Morgenmagazin» ein gesetzliches Verbot von sittenwidrigen Löhnen an. Das ist der Fall, wenn die Bezahlung ein Drittel unter dem Durchschnitt des branchenüblichen Lohnes liegt. Außerdem kündigte Pofalla ein Datenschutzgesetz an, das Arbeitnehmer vor Bespitzelungen schützt.
Union und FDP sind auch grundsätzlich für längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, die als sicher gelten. «In der Ausgestaltung der Bedingungen gibt es aber noch Differenzen», sagte die FDP-Energieexpertin Gudrun Kopp der dpa. Konkrete Angaben wie Jahreszahlen oder Ausgleichszahlungen der Atomkonzerne sollen im Koalitionsvertrag nicht genannt werden. Umweltschützer und Energieexperten warnten vor einer «völligen Freigabe» der Laufzeiten.
Mehrbelastungen für Versicherte
Beim Thema Gesundheit waren sich die Vertreter von Union und FDP einig, dass die Krankenversicherten nicht allein für die Deckung des Milliardendefizits in der gesetzlichen Krankenversicherung aufkommen sollen. Vielmehr sei eine Kombination von Maßnahmen nötig, sagte die Unions-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen (CDU) am Rand der womöglich entscheidenden Sitzung zur künftigen Gesundheitspolitik am Abend. Höhere Steuerzuschüsse schloss sie nicht aus.
In der Außenpolitik sind FDP und Union einig, dass die EU-Verhandlungen mit der Türkei «ergebnisoffen» sein sollen. Falls ein Beitritt abgelehnt wird, soll der Türkei ein «privilegiertes Verhältnis» angeboten werden. Keine Annäherung gab es beim Thema Wehrpflicht. Die FDP verlangt die Aussetzung des Pflichtdienstes.