Report: Zur Integration ins türkische Gymnasium

Hannover (dpa) -  Von außen sieht diese Schule aus wie viele andere: graue Fassade und jede Menge Fenster. Rote Fahnen mit weißem Halbmond fehlen ebenso wie eine Büste des Gründers der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, die in Schulen der Türkei die Regel ist.

Plakate informieren über Freizeitangebote - auf deutsch, nicht auf türkisch. Dennoch wurde das private Gymnasium in Hannover von Eltern türkischer Herkunft gegründet.

Am Anfang der Privatschule stand der Verein für Integration und Bildung (VIB), der türkischstämmigen Kindern seit 15 Jahren Nachhilfe gibt. Vor drei Jahren ging das Gymnasium an den Start. Es steht Schülern jeder Herkunft offen, 80 Prozent aber haben ausländische Wurzeln, zwei Drittel davon in der Türkei.

Die Zahl der muslimischen Kinder liegt bei rund 70 Prozent. Dennoch fehlen Gebetsverse an den Schulwänden und es gibt auch keinen islamischen Religionsunterricht. Nur eine kleine Minderheit der Mädchen trägt Kopftuch. Der Rest der Teenager ist dem Alter entsprechend modisch gekleidet - wie in jeder anderen Schule auch.

«Wir wissen, dass gute Bildung das Leben einfach macht. Wir haben uns gewünscht, dass Kinder mit und ohne Migrationshintergrund dieselben Chancen erlangen», sagt Schulverwaltungsleiter Rakip Dumlu. Deshalb habe er auch die Schule mitgegründet. «Wir kennen die Problematik, die unsere Kinder haben in der deutschen Sprache. Deswegen haben wir Lehrer mit einer Zusatzqualifikation Deutsch als Fremdsprache.» Unter den 31 Lehrern haben nur zwei Lehrkräfte türkische Wurzeln.

Seit 15 Jahren werde über das Thema Integration diskutiert, meint der 32 Jahre alte Schulrektor Dumlu. «In diesen Jahren hat es keiner geschafft, einfach mal zu definieren, was wir unter Integration überhaupt zu verstehen haben. Ich frage mich immer wieder, ob ich, der hier geboren ist, der studiert hat, ob ich integriert bin oder nicht.»

Dumlu wünscht sich, dass seine Kinder in Zukunft nicht mehr Begriffe wie «mit» oder «ohne Migrationshintergrund» hören müssten. Früher seien sie die Ausländer gewesen, jetzt seien sie die Migranten. «Ich habe dieselben Ansprüche in Deutschland, die Rechte und Pflichten wie Herr Sarrazin, Frau Merkel oder Herr Koch. Ich habe genauso viel gearbeitet wie ein Deutscher.» Man sollte die Menschen ermuntern, sich zu engagieren, zu wählen oder sich wählen zu lassen, sagt Dumlu. «Wenn man Menschen die Rechte nicht geben möchte, dann kann man von ihnen nicht sofort verlangen, dass sie sich in Deutschland zugehörig fühlen.»

In der Gesellschaft würden mehr Migranten gebraucht, meint Dumlu. Die Türen sollten geöffnet, Migranten nicht mit Vorurteilen ausgeschlossen werden. «Ich möchte mehr Migranten bei der Polizei, in den Ämtern - nicht nur in den Job-Centern - sehen.»

Jörg Steidl ist Mathematiklehrer am deutsch-türkischen Gymnasium. Integration sei schulintern kein Thema, meint er. «Ein Umfeld, in das sich die Schüler integrieren müssen, gibt es nicht.» Eine Regel allerdings gilt: In der Schule wird deutsch gesprochen - auch auf dem Pausenhof. Einzige Ausnahme ist der Türkischunterricht, an dem 20 Schüler einmal in der Woche nachmittags freiwillig teilnehmen. In der deutschen Alltagssprache seien die Kinder fit und versiert. «Aber es ist viel zu wenig für das heutige Gymnasium. Wir müssen im naturwissenschaftlichen Unterricht ein ausgesprochenes Sprachtraining machen.»    

Kamil, Bera und Samara sind 14 Jahre alt und besuchen die neunte Klasse. Ihre Eltern stammen aus der Türkei und Spanien. Kamil ist in dieser Schule, weil er seiner Meinung nach in einer staatlichen Schule weniger gefördert würde. «Wir haben Nachmittagsunterricht, die Lehrer helfen uns», sagt der 14-Jährige, der später Arzt werden will. Er habe gehört, dass an anderen Schulen manche Lehrer etwas dagegen, hätten, dass aus den ausländischen Kindern etwas werde, meint Kamil. «Die wollen nicht, dass Ausländer in Deutschland eine gute Stelle haben.»

Ob ein russischer, deutscher oder türkischer Lehrer sie unterrichte, sei egal, meint unterdes Bera. «Hauptsache, sie sind fair zu den ausländischen Schülern.» Gut an der Schule sei, so Samara, dass die Lehrer auf die Schüler eingingen. «Hier wird man gefordert und gefördert.»

Frank Müller ist einer der Lehrer, die fordern. Er unterrichtet Deutsch sowie Werte und Normen. «Integration ist etwas, was die Schule immer bewerkstelligen muss», sagt der 48-Jährige. «Ich glaube die Schwachstelle liegt in der Gesellschaft, wo man gar nicht weiß, was Integration heißt», meint der Deutschlehrer. Manchmal werde Deutschen der Vorwurf gemacht, sie lebten ihre eigenen Werte nicht. «Wenn die Gesellschaft ein Bild des Chaos und auch der Haltlosigkeit bietet, dann ist es für eine Gruppe, die aus einer fast festgefügten Kultur kommt, gar nicht erstrebenswert, sich zu integrieren.» Voraussetzung für Integration sei es, die Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen. «Für mich ist Integration dann gelungen, wenn man sich gegenseitig befruchtet, kooperiert und bessert. Integration kann nicht heißen Assimilation.»

Migration / Integration
11.10.2010 · 22:51 Uhr
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