Im Test: Fantasia Music Evolved
Seit vielen Jahrzehnten steht Walt Disney wie kein anderes Unternehmen für die Kultur des Zeichentrickfilms. Einer der ganzen frühen Klassiker ist der Streifen Fantasia, der 1940 in die Kinos kam. Zentrales Element des Films ist die klassische Musik bekannter Künstler wie Tschaikowski, van Beethoven, Schubert, Strawinski und vieler mehr. Mehr als 70 Jahre später dient der Film nun als Vorlage für ein Videospiel. Welches Studio sollte für eine Umsetzung besser geeignet sein als Harmonix, die sich mit Musikspielen wie Rock Band, Guitar Hero oder auch Dance Central einen guten Ruf in diesem Genre verdient haben?
Musik liegt in der Luft
Im Gegensatz zu Rock Band oder Guitar Hero greift ihr bei Fantasia: Music Evolved allerdings nicht selbst zum Instrument. Eure Aufgabe liegt darin, das Orchester zu dirigieren. Da sich die Funktion des Dirigenten mit dem Controller vermutlich nicht allzu spannend spielen lassen würde, steuert sich das Spiel komplett über die Kinect-Kamera. Zur besseren Orientierung zeigt Kinect euer Abbild auf dem Bildschirm. Somit habt ihr einen Überblick, welche Bewegungen die Kamera von euch eingefangen hat.
Bei der Steuerung nimmt euch das Spiel an die Hand und erklärt jede einzelne Mechanik im Detail. Um die einzelnen Orchester-Bestandteile im Zaum zu halten, müsst ihr Linien mit der Hand nachfahren oder kurze Schläge in Richtung der Kamera ausführen. Zwischendurch gibt es kleine Minispiele, die das Geschehen auflockern. Im Grunde ist das Spielprinzip ziemlich simpel, funktioniert dafür aber auch weitgehend reibungslos. Das können schließlich längst nicht alle Kinect-Spiele von sich behaupten. Es ist schön zu sehen, wie gut Bläser und Streicher auf das eigene Zeichen hören und das Lied zu einem fulminanten Crescendo formen.
Experimente mit Kinect
Die einzelnen Musikstücke werden aber nicht einfach nur lose vom Blatt gespielt. Da es im Hintergrund noch immer einen bekannten Kinostreifen gibt, haben die Entwickler dem Spiel auch eine Geschichte spendiert. In dieser trifft man auf eine von Lärm verunreinigte Welt, die es wieder zu säubern gilt. Durch die Zusammenführung magischer Fragmente, die man in den einzelnen Musikstücken findet, kommt ihr eurem Ziel schrittweise näher. Eine tiefgründige Story bietet Fantasia: Music Evolved nicht. Im Vordergund steht ganz klar die Spielmechanik.
Habt ihr die Geschichte von Fantasia: Music Evolve einmal durchgespielt, lädt der Titel zum Experimentieren ein. Alle Stücke lassen sich dann frei anwählen. Nach dem mehrfachen Absolvieren eines Lieds, schalten sich auch alternative Routen im jeweiligen Titel frei. So könnt ihr einen Klassiker im 8-Bit-Retro-Sound arrangieren oder das Ganze gleich von einer Jazzband instrumentieren lassen. Für die alternativen Arragements müsst ihr die Lieder jedoch leider wirklich mehrfach spielen. Immerhin wird dadurch die Sammelleidenschaft, die doch in den meisten Videospielern steckt, angeregt.
Lady Gaga meets Beethoven
Insgesamt haben etwas mehr als 30 Lieder ihren Weg ins Spiel gefunden, was im Vergleich zu anderen Musik- und Rhythmusspielen recht gering erscheint. Neben bekannten Werken aus der Klassik-Epoche, sind jedoch auch modernere Songs mit von der Partie. Die Auswahl der Musiken ist natürlich Geschmacksache. Interpreten wie Lady Gaga und Missy Elliot finden sich im bunten Mix ebenso wieder wie die Rock Opas von Queen oder Elton John. Es ist aber natürlich auch zu erwarten, dass sich die Bibliothek der Songs mit zusätzlichen Downloads erweitern lässt.
Beim Musikgeschmack geht Harmonix also einen gewissen Kompromiss ein. Befasste sich der Film von 1940 noch ausschließlich mit klassischer Musik, so wollte der Entwickler wohl auch Rücksicht auf eine jüngere Käuferschicht nehmen, die mit klassischer Musik nicht sonderlich viel anfangen kann. Dies lässt sich auch beim Schwierigkeitsgrad beobachten. Kam man beim Tanzspiel Dance Central aus dem gleichen Hause noch schnell an seine Grenzen, ist Fantasia: Music Evolved ziemlich großzügig. Auch ungeübte Spieler sollten recht problemlos die volle Punktzahl von fünf Noten erhalten. Gering ist auch der Peinlichkeitsfaktor. Fühlte man sich bei Tanzspielen schnell wie der letzte Depp, so kann man die vom Spiel verlangten Bewegungen auch durchführen, ohne vor Peinlichkeit berührt, rot anzulaufen zu müssen. Im Gegenteil, wenn die Musik geschmeidig zu den eigenen Bewegungen fließt, ist das schon ein magischer Moment. Hier hat Harmonix wieder ein gutes Gespür bewiesen.
Wunderbar fügt sich da auch der Modus für zwei Spieler ein. Im Bild werden jetzt die Abbilder von beiden Spielern eingefangen, die abwechselnd einige Passagen des Lieds dirigieren. In einigen Abschnitten dürfen auch beide Dirigenten gleichzeitig ran und halten das Orchester parallel in Schach. Der Punktezähler wird dabei immer weiter in die Höhe getrieben. Ein kleiner Wettbewerb entsteht aber dennoch. Denn nur der führende Spieler darf an den Wechselpunkten bestimmen, welchen Fortlauf das Lied nimmt.
Nach langer Zeit dürfen sich Besitzer eine Kinect-Kamera mal wieder über einen geeigneten Titel freuen. Peinliches Rumgehampel bleibt uns ebenso erspart wie nerviges Kalibrieren und Nachverstellen der Kamera. Sogar im Sitzen lässt sich Fantasie: Music Evolved wunderbar spielen. Harmonix beweist einmal mehr, dass Musikspiele auf den Konsolen doch noch eine Daseinberechtigung haben. Wenn jetzt noch die passenden Musikstücke nachgeliefert werden, habe ich ein neues Groschengrab gefunden.