Bahn bekommt Hausaufgaben vom Schlichter auf
Stuttgart (dpa) - Der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler fordert von der Bahn massive Nachbesserungen für das Milliardenvorhaben. Dennoch kann die Bahn zufrieden sein mit dem Schlichterspruch.
Was muss die Bahn machen, um teure Nachbesserungen zu vermeiden?
In einer Simulation muss sie beweisen, dass ihr Baukonzept wesentlich leistungsfähiger ist als der bestehende Kopfbahnhof. Wenn im neuen Tiefbahnhof zu Spitzenzeiten und mit guter Betriebsqualität ein Drittel mehr Züge abgewickelt werden können als 37 pro Stunde, dann kann laut Schlichterspruch auf die teuren Nachbesserungen verzichtet werden. Das Ergebnis des «Stresstests» kann nach Bahnangaben monatelang auf sich warten lassen.
Wie teuer könnten die Vorschläge werden?
Wenn die Bahn den «Stresstest» nicht besteht, muss sie ein neuntes und zehntes unterirdisches Gleis bauen. Nach früheren Kalkulationen würde dies mit 90 Millionen Euro zu Buche schlagen. 250 Millionen Euro könnte eine verbesserte Führung des Fernverkehrs aus nördlicher Richtung kosten. Ob ein langwieriges Genehmigungsverfahren für diese Maßnahmen nötig wäre, ist unklar. Der Projektgegner Boris Palmer (Grüne) rechnet mit mindestens 500 Millionen Euro Mehrkosten für «Stuttgart 21 plus». Wer diese übernimmt, ist ebenfalls unklar.
Wann wird der Bau fortgesetzt?
Bahnvorstand Volker Kefer hat klargestellt: «Wir werden nicht morgen früh sofort wieder anfangen zu bauen.» Zuerst müsse der Schlichterspruch analysiert werden. Mit dem Ende der Schlichtung ist die Friedenspflicht - und damit der Baustopp - zwar faktisch erloschen. Wenn jedoch sofort wieder Bagger auffahren und Bäume für das Technikgebäude im Norden des Bahnhofes gefällt würden, dürften die Gegner dies als Provokation empfinden. «Dann ist die Hölle los», sagte eine Bürgerin im Rathaus.
Werden die Demonstrationen jetzt wieder zunehmen?
Ja. Im Lager der «Parkschützer», die an der Schlichtung nicht teilgenommen haben, ist von Ermattung keine Spur. Sie kündigten für nächsten Samstag eine neue Demonstration an; das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 und die Grünen wollen eine Woche später auf die Straße gehen. Schon während des Schlichterspruchs bekamen die Projektträger einen ersten Geschmack darauf, wie das Votum Geißlers aufgenommen wird: «Mappus weg», «Lügenpack» und «Wir sind das Volk» skandierten enttäuschte Bürger.
Was haben die Bürger von der Schlichtung?
Bei künftigen Großprojekten wird die Politik anders als bisher mit den Betroffenen umgehen. Bahnvorstand Kefer sagte zu, dass zumindest die Bahn bei neuen Schienenverkehrskonzepten oder großen Vorhaben die Bevölkerung einbeziehen werde - und das vor der Planung. Auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) will ein Bürgerforum einrichten, in das Bürger ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen können. Die Grundstücke in der City, die durch den unterirdischen Bahnhof frei werden, sollen in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht werden. Immobilienspekulationen sollen dadurch verhindert werden.
Wie stehen Befürworter und Gegner nach der Schlichtung da?
Eindeutige Gewinner und Verlierer gibt es nicht. Die Bahn ist wichtige Nachweise für die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofes schuldig geblieben. Der Schlichterspruch beschert der CDU/FDP- Regierung aber wenige Monate vor der Landtagswahl Rückenwind. Die Gegner haben ihr Ziel verfehlt, Stuttgart 21 zu verhindern. Aber sie haben mit ihren begrenzten Ressourcen auf Augenhöhe mit dem Bahnkonzern diskutiert. Größter Erfolg: Auch die Stuttgart-21- Verfechter mussten einräumen, dass ein modernisierter Kopfbahnhof (K 21) technisch machbar wäre und kein «Phantom» ist.
Eindeutiger Gewinner ist Moderator Heiner Geißler. Mit Witz, Beharrlichkeit und strenger Diskussionsführung hat er als Anwalt der Bürger für eine sachliche, punktgenaue und verständliche Debatte gesorgt. Er wird als Vater des «Stuttgarter Modells» gelten, das bundesweit als basisdemokratisches Instrument für Großprojekte Schule machen könnte.