Anatomie eines Amoklaufs
"Good morning, boys and girls" von Juli Zeh in dem Kammerspielen
16. Januar 2013, 16:23 Uhr · Quelle: LifePR
(lifepr) Heilbronn, 16.01.2013 - "Je mehr man sich mit Amokläufern beschäftigt, desto klarer wird einem, dass es auf die Frage nach dem Warum keine eindeutige Antwort gibt", sagte Juli Zeh in einem Interview zu ihrem Stück "Good morning, boys and girls". Die Schriftstellerin und Juristin hat dieses Schauspiel 2010 kurz nach dem Amoklauf von Winnenden im Auftrag des Düsseldorfer Schauspielhauses geschrieben. Nach umfangreichen Recherchen hat sie sich diesem Thema aus verschiedenen Perspektiven genähert und unter Vermeidung der verzerrenden Stereotype, die nach so unfassbaren Taten reflexhaft bemüht werden, eine gesellschaftliche Analyse versucht. Am 18. Januar um 20 Uhr hat "Good morning, boys and girls" Premiere in den Kammerspielen des Heilbronner Theaters in der Inszenierung von Martina Eitner-Acheampong.
Jens ist 16 Jahre alt, nennt sich selbst Cold und plant einen Amoklauf in seiner Schule. In seiner Phantasie sieht er schon den Medienrummel, den seine Tat auslösen wird. Die Reporterteams, die seine Eltern befragen, und in seiner Schule auf Spurensuche gehen, um Antworten zu suchen auf die Frage nach dem Warum.
Er war so ein liebes Kind, voller Phantasie, sagt die Mutter. Er war ein Loser, sagt der Vater. Beide verdienen viel Geld mit dem Verkauf von Kunst und Jens ist ihnen einfach so passiert, als sie gerade dabei waren, so richtig erfolgreich zu werden. Ob er gespürt hat, dass er eigentlich nicht richtig gewollt war? Er war anders als seine Mitschüler. Seine Intelligenz hat ihn zum Außenseiter gemacht, sagt die Lehrerin. Seine Kurzgeschichten waren wahnsinnig gut, nur etwas blutrünstig. Hätte sie da genauer hinschauen sollen? Seine Mitschüler mögen ihn nicht, grenzen ihn aus. Nur Susanne versteht ihn, ist klug, hat einen ähnlichen kruden Humor, tarnt sich mit ihrer Modefrisur und den derzeit angesagten Kleidungsstücken, damit sie nicht auch Außenseiterin ist.
Juli Zeh nimmt den Zuschauer mit auf Spurensuche nach der vermeintlichen Wahrheit, lässt ihn aber, weil sie dem Stück eine überraschende Wendung gibt, die eigenen Erkenntnisse und Urteile wieder hinterfragen. Sie liefert weder vorschnelle Erklärungen noch moralische Beurteilungen. Sie will den Menschen zeigen, der so eine Tat plant. Man kann ihm beim Denken zuschauen.
Trotz der Darstellung des ganzen Ursachengefüges in diesem Stück will Martina Eitner- Acheampong mit ihrer Inszenierung ganz klar zeigen, dass Amokläufer für ihr Tun voll verantwortlich sind.
Bereits zu Beginn der Proben haben das Inszenierungsteam, das Schauspielensemble und Theaterpädagogin Katrin Singer eine Expertenrunde eingeladen, um Fragen, die sich in der Arbeit an dem Stoff stellen, klären zu können. Mit all ihrem Wissen und ihrer Erfahrung stellten sich Frau Dr. Marianne Klein, Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom Klinikum Weißenhof in Weinsberg, und Reiner Pimpl von der Kriminalpolizei Heilbronn, tätig im Bereich Kriminalprävention, zur Verfügung. Die Diskussion drehte sich um die Fragen: Was treibt einen Menschen zu so einer unfassbaren Tat? Kann man einen potentiellen "school shooter" erkennen?
Grundbedürfnis des Menschen ist, anerkannt und gesehen zu werden, "Jemand zu sein". Wird ein Schüler in seiner Klasse ausgegrenzt oder gar gemobbt, macht sich der Gedanke, dass alle Welt ihn hasse, immer breiter in seinem Kopf. Wird er auch von seiner Familie nicht aufgefangen, findet er keinen Lehrer, der die Not erkennt (so wie es Jens in dem Stück geht) kann es gefährlich werden, beschreibt Reiner Pimpl.
"Allen Tätern gemeinsam ist eine narzisstische Persönlichkeit, eine massiv hohe Kränkbarkeit und eine große soziale Isolation", sagt Dr. Marianne Klein. Es ist der stille Schüler. Er "verpuppt" sich, Rachegedanken kanalisieren sich in Tötungsphantasien. Er schreibt in Gedanken "das Drehbuch" seiner Rache. Machtphantasien, der Wunsch, durch diese Tat gesehen zu werden, tun ihr Übriges.
Warum steht dieses Stück im Theater Heilbronn auf dem Spielplan? Seine Aktualität wird durch Nachrichten über Amokläufe, auch über versuchte und verhinderte, leider immer wieder unter Beweis gestellt.
Aber allein, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, gehört zur Prävention, darin sind sich auch die Experten einig. Es geht darum, die Sensibilität für seine Mitmenschen zu schärfen, Mobbing und Ausgrenzung nicht zuzulassen, für ein gutes Klassenklima zu sorgen. Letztlich ist es nicht nur ein Stück über einen Amoklauf, sondern darüber, angenommen und gesehen zu werden, den anderen in seiner Not nicht allein zu lassen.
Zu den Vorstellungen gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Workshops und Publikumsgesprächen. Unter anderem auch mit Reiner Pimpl von der Heilbronner Kriminalpolizei, der zu ausgewählten Terminen für Fragen rund um die Prävention von Amokläufen zur Verfügung steht.
Premiere am 18. Januar 2013, 20.00 Uhr, Kammerspiele
Good Morning, Boys and Girls
Von Juli Zeh
Regie: Martina Eitner-Acheampong
Bühne: Ulrike Melnik
Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf
Mit: Julia Apfelthaler (Susanne/Zicke), Sylvia Bretschneider (Frau Patt), Katharina Voß (Mutter); Gabriel Kemmether (Cold / Jens), Till Schmidt (Vater), Jörg Schulze (Amok/Danton)
Jens ist 16 Jahre alt, nennt sich selbst Cold und plant einen Amoklauf in seiner Schule. In seiner Phantasie sieht er schon den Medienrummel, den seine Tat auslösen wird. Die Reporterteams, die seine Eltern befragen, und in seiner Schule auf Spurensuche gehen, um Antworten zu suchen auf die Frage nach dem Warum.
Er war so ein liebes Kind, voller Phantasie, sagt die Mutter. Er war ein Loser, sagt der Vater. Beide verdienen viel Geld mit dem Verkauf von Kunst und Jens ist ihnen einfach so passiert, als sie gerade dabei waren, so richtig erfolgreich zu werden. Ob er gespürt hat, dass er eigentlich nicht richtig gewollt war? Er war anders als seine Mitschüler. Seine Intelligenz hat ihn zum Außenseiter gemacht, sagt die Lehrerin. Seine Kurzgeschichten waren wahnsinnig gut, nur etwas blutrünstig. Hätte sie da genauer hinschauen sollen? Seine Mitschüler mögen ihn nicht, grenzen ihn aus. Nur Susanne versteht ihn, ist klug, hat einen ähnlichen kruden Humor, tarnt sich mit ihrer Modefrisur und den derzeit angesagten Kleidungsstücken, damit sie nicht auch Außenseiterin ist.
Juli Zeh nimmt den Zuschauer mit auf Spurensuche nach der vermeintlichen Wahrheit, lässt ihn aber, weil sie dem Stück eine überraschende Wendung gibt, die eigenen Erkenntnisse und Urteile wieder hinterfragen. Sie liefert weder vorschnelle Erklärungen noch moralische Beurteilungen. Sie will den Menschen zeigen, der so eine Tat plant. Man kann ihm beim Denken zuschauen.
Trotz der Darstellung des ganzen Ursachengefüges in diesem Stück will Martina Eitner- Acheampong mit ihrer Inszenierung ganz klar zeigen, dass Amokläufer für ihr Tun voll verantwortlich sind.
Bereits zu Beginn der Proben haben das Inszenierungsteam, das Schauspielensemble und Theaterpädagogin Katrin Singer eine Expertenrunde eingeladen, um Fragen, die sich in der Arbeit an dem Stoff stellen, klären zu können. Mit all ihrem Wissen und ihrer Erfahrung stellten sich Frau Dr. Marianne Klein, Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom Klinikum Weißenhof in Weinsberg, und Reiner Pimpl von der Kriminalpolizei Heilbronn, tätig im Bereich Kriminalprävention, zur Verfügung. Die Diskussion drehte sich um die Fragen: Was treibt einen Menschen zu so einer unfassbaren Tat? Kann man einen potentiellen "school shooter" erkennen?
Grundbedürfnis des Menschen ist, anerkannt und gesehen zu werden, "Jemand zu sein". Wird ein Schüler in seiner Klasse ausgegrenzt oder gar gemobbt, macht sich der Gedanke, dass alle Welt ihn hasse, immer breiter in seinem Kopf. Wird er auch von seiner Familie nicht aufgefangen, findet er keinen Lehrer, der die Not erkennt (so wie es Jens in dem Stück geht) kann es gefährlich werden, beschreibt Reiner Pimpl.
"Allen Tätern gemeinsam ist eine narzisstische Persönlichkeit, eine massiv hohe Kränkbarkeit und eine große soziale Isolation", sagt Dr. Marianne Klein. Es ist der stille Schüler. Er "verpuppt" sich, Rachegedanken kanalisieren sich in Tötungsphantasien. Er schreibt in Gedanken "das Drehbuch" seiner Rache. Machtphantasien, der Wunsch, durch diese Tat gesehen zu werden, tun ihr Übriges.
Warum steht dieses Stück im Theater Heilbronn auf dem Spielplan? Seine Aktualität wird durch Nachrichten über Amokläufe, auch über versuchte und verhinderte, leider immer wieder unter Beweis gestellt.
Aber allein, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, gehört zur Prävention, darin sind sich auch die Experten einig. Es geht darum, die Sensibilität für seine Mitmenschen zu schärfen, Mobbing und Ausgrenzung nicht zuzulassen, für ein gutes Klassenklima zu sorgen. Letztlich ist es nicht nur ein Stück über einen Amoklauf, sondern darüber, angenommen und gesehen zu werden, den anderen in seiner Not nicht allein zu lassen.
Zu den Vorstellungen gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Workshops und Publikumsgesprächen. Unter anderem auch mit Reiner Pimpl von der Heilbronner Kriminalpolizei, der zu ausgewählten Terminen für Fragen rund um die Prävention von Amokläufen zur Verfügung steht.
Premiere am 18. Januar 2013, 20.00 Uhr, Kammerspiele
Good Morning, Boys and Girls
Von Juli Zeh
Regie: Martina Eitner-Acheampong
Bühne: Ulrike Melnik
Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf
Mit: Julia Apfelthaler (Susanne/Zicke), Sylvia Bretschneider (Frau Patt), Katharina Voß (Mutter); Gabriel Kemmether (Cold / Jens), Till Schmidt (Vater), Jörg Schulze (Amok/Danton)