Eintrag #1, 17.04.2021, 01:43 Uhr

Das Leben eines Intensivfacharztes

von https://twitter.com/Caethan13/status/1380225844048723968

 

Ich bin diensthabender Intensiv-Facharzt, das Telefon klingelt: „Hi, hier ist Paul von der ITS2. Kannst du mal vorbeikommen? Wir haben gerade nen COVID Patienten von draußen bekommen, dem geht’s richtig schlecht.“

„Klar, gib mir zwei Minuten, dann komm ich rüber.“

„Zimmer 6“

 

Ich trinke kurz einen Schluck, nehme mir meine Schutzbrille und laufe rüber zur Nachbarstation.

 

„Gut dass du da bist. Ich weiß noch gar nix über den Herren. Er war heute Morgen beim Hausarzt. Hatte vor ein paar Tagen nen positiven PCR Befund und nun ging es ihm nicht so gut. Der Hausarzt hat ihn direkt eingewiesen. Die Kollegin von der Notaufnahme hat ihn eben hergebracht. Die Sättigung war um 50% unter 15 Liter Sauerstoff und er hat eine Atemfrequenz von 40. Gerade bekommt er NIV.“

 

Ich schaue durch das Glasfenster. Der Patient sitzt aufrecht im Bett während ihm die Beatmungsmaske umgeschnallt wird. Er schaut angestrengt aus. Die Kollegin von der ZNA versucht gerade einen arteriellen Zugang zu legen. Ich schaue auf das Patientenblatt: 63 Jahre alt, noch nie bei uns im Krankenhaus gewesen.

 

„Ich geh mal besser gleich rein.“

 

Ich schnappe mir eine FFP3-Maske und gehe zu dem Patienten. Trotz 80% Sauerstoff und hohen Unterstützungsdrücken hat er immer noch eine Atemfrequenz von über 30 (normal ist etwa die Hälfte). Auf den ersten Blick sieht er gar nicht so krank aus.

Ein stämmiger und muskulöser Herr mit einem schicken Karohemd und Anzugschuhen. Nur die Gesichtsfarbe wirkt fahl und bläulich und er ist klatschnassgeschwitzt, obwohl es im draußen noch kühl ist und die Klimaanlage den Raum auf angenehme 22 Grad aufheizt.

 

„Ich glaube das mit dem NIV schafft er nicht.“

 

Ich versuche Kontakt aufzunehmen, doch der Mann schaut mich nur ängstlich an, zum Sprechen fehlt die Luft. Selbst wenn er etwas sagen wollte, könnte ich es durch das Zischen des Beatmungsgerätes & den Alarm des Monitors nicht hören.

„pO2 ist immer noch unter 60 und er erschöpft sich“ meint meine Kollegin, die inzwischen die Arterie gelegt hat.

 

„Wir werden Sie wahrscheinlich in Narkose legen müssen, damit wir ihnen beim Atmen helfen können und sie keine Atemnot mehr leiden müssen.“

 

Ich versuche zuversichtlich zu wirken, obwohl ich natürlich die >50% Sterblichkeit von beatmeten COVID Patienten im Hinterkopf habe. Doch was soll man einem schwerstkranken Menschen in seinen letzten wachen Minuten für die nächsten Tage oder Wochen schon sagen?

Er blickt mich dankbar an und nickt. Ich glaube er hat noch nicht verstanden wie krank er ist, doch ist froh, dass ihm geholfen wird. Ich blicke nochmal auf das Beatmungsgerät. Die Atemfrequenz wird etwas langsamer, doch das liegt daran, dass die Kräfte des Patienten schwinden.

Die Sauerstoffsättigung zeigt 80%.

 

„Wir müssen den Patienten intubieren. Holt bitte den Wagen.“

 

Glücklicherweise sind wir nach einem Jahr Pandemie ein eingespieltes Team und während die PFKs das fertig gepackte Intubationszubehör holen, lege ich noch einen zweiten Venenzugang.

Das schicke Hemd muss ich hierzu aufschneiden, doch das scheint dem Patienten in diesem Moment egal. Selbst auf den schmerzhaften Stich im Unterarm reagiert er nicht einmal mehr mit einem Zucken. Wir müssen uns beeilen.

 

„Ich muss Ihnen die Maske jetzt richtig fest auf’s Gesicht drücken“ erkläre ich trotzdem und stelle den Sauerstoff auf 100%.

„Seid ihr soweit?“

 

Wir gehen nochmal kurz die Intubationscheckliste durch und ich prüfe die Medikamente. Das Beatmungsgerät und die Absaugung zischen laut.

Der Intensivmonitor alarmiert immer wieder "SÄTTIGUNG NIEDRIG". Es ist ein ohrenbetäubender Lärm und durch Faceshield und FFP3-Masken ist eine Kommunikation fast unmöglich. Doch wie gesagt, wir sind ein eingespieltes Team und brauchen wenig Worte.

Die Narkosemedikamente werden gespritzt und der Mann wird ruhiger, bis die Atmung schließlich ganz aussetzt. Hätte ich nicht den kräftigen Puls unter meiner Hand und das EKG am Monitor, könnte man meinen er wäre schon tot, so fahl und grau wie er aussieht.

Die Intubation gelingt problemlos und die Sauerstoffsättigung erholt sich langsam und unter hohen Beatmungsdrücken auf ein akzeptables Niveau. Die Computertomographie der Lunge schaut genauso schlimm aus wie wir es uns gedacht haben.

Zwischen den weißen Milchglas-Veränderungen sind nur noch kleine Flecken gesunder Lunge erkennbar. Nach erledigter Erstversorgung widme ich mich wieder meinen Patienten auf der Nachbarstation, während mein Kollege Paul die Angehörigen verständigt.

 

„Wir mussten ihren Mann leider auf unsere Intensivstation aufnehmen. Er ist beatmet und liegt im Koma. Es geht ihm leider sehr schlecht...“

 

Kleine Anmerkung: Das war nicht gestern oder heute und Details sind verfremdet aber ansonsten habe ich mich bemüht, das ganze möglichst realistisch wiederzugeben. Der geschilderte Fall ist an sich nichts besonderes, so oder ähnlich hab ich das jetzt schon dutzende Male mitgemacht.

Mal dramatischer, mal ruhiger. Meistens mit relativ schlechtem Outcome für den Patienten. Alltag auf der Intensivstation in einer Pandemie aber eben doch etwas an das man sich nie so richtig gewöhnt...

 
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