PR-Desaster nach Pannen-Pfiffen

Johannesburg (dpa) - Die Fußball-Welt ist wütend und entsetzt über die skandalösen Schiedsrichter-Fehler bei der WM, doch an der allmächtigen FIFA und ihrem Präsidenten Joseph Blatter prallt jede Kritik ab.

Auch am Tag nach den schlimmen Referee-Pannen in den Achtelfinals von Bloemfontein und Johannesburg mit «Torklau» und gegebenem Abseits-Treffer gingen die WM-Bosse auf Tauchstation statt sich der weltweit längst entbrannten Debatte über Video-Beweis und Chip-Ball zu stellen. Das PR-Desaster war perfekt. «Es ist wie an allen Tagen, wir kommentieren die Entscheidungen der Schiedsrichter nicht», sagte FIFA-Pressesprecher Nicolas Maingot am Montag.

Fast wie ein Ultimatum hörte sich die Forderung von Star-Trainer Guus Hiddink an den mächtigen FIFA-Boss an. «Sepp Blatter sollte morgen verkünden, dass der Videobeweis eingeführt wird - sonst muss er zurücktreten», sagte der 63 Jahre alte Niederländer, der in seiner Karriere in knapp 30 Jahren schon zahlreiche Spitzenvereine und fünf Nationalmannschaften trainiert hat.

Diskussionen über technische Hilfsmittel stehen während der WM in Südafrika auf dem FIFA-Index. Der Fair-Play-Gedanke wird in zahlreichen FIFA-Kampagnen groß geschrieben, aber bei den zahlreichen Fehlentscheidungen nicht beherzigt. Dabei fordern erboste Trainer, Spieler, Funktionäre und Fußball-Legenden wie Franz Beckenbauer und Johan Cruyff überfällige Reformen. Cruyff sprach sich für eine Torkamera, aber keine weiteren technischen Hilfsmittel aus. Sogar der britische Regierungschef David Cameron mischte sich ein und unterstützt den Einsatz von Kamerabildern bei der Bewertung von Toren. «Ich denke, Technologien im Sport zu nutzen ist ein Vorteil», sagte Cameron im kanadischen Toronto nach dem Gipfeltreffen der 20 wichtigsten Volkswirtschaften (G20).

Das für gültig erklärte Abseitstor der Argentinier zur 1:0-Führung beim 3:1-Achtelfinalsieg gegen Mexiko flimmerte über alle Stadionleinwände. Die Schiedsrichter wurden durch diesen Fauxpas öffentlich vorgeführt, aber die FIFA steuert weiter stumm auf Schlingerkurs. Einzige Maßnahme am Montag war eine Überprüfung der Video-Einspielungen auf den Stadion-Bildschirmen. Dort dürfen strittige Szenen nicht als Wiederholung für die Stadion-Besucher eingespielt werden. «Da ist ein Fehler passiert. Wir wollen sicherstellen, dass dies nicht mehr passiert», kommentierte Maingot die öffentlich gezeigte Zeitlupe, nicht aber den offensichtlichen Patzer des Referees.

Statt des allseits erwarteten und notwendigen Statements der Fußball-Würdenträger musste Maingot im Kellerraum des Soccer City Stadiums als Prellbock für die schweigenden FIFA-Bosse herhalten. Hinter den Kulissen dürfte Blatter angesichts des PR-Pleite ausgerechnet bei seinem heiligen afrikanischen WM-Projekt toben. Vor eine Kamera stellten sich der Schweizer oder sein Schiri-Kommissions- Chef Angel Maria Villar Llona aber nicht. Für alle Referee-Themen verwies Maingot auf den vorab angesetzten Tag der Offenen Tür im Schiri-Quartier nahe Pretoria am Dienstag. Diese Fragestunden sind allerdings eine Farce, da die Referees keine Kommentare zu eigenen Leistungen oder den Auftritten ihrer Kollegen abgeben dürfen.

Andere sprechen derweil Klartext. «Wir von der Schiedsrichterseite des DFB haben ja zu dieser Frage schon mehrfach Stellung bezogen. Wir würden den Chip im Ball bevorzugen. Mit diesem technischen Hilfsmittel wären menschliche Fehler auszuschließen», sagte DFB-Lehrwart Eugen Strigel der Nachrichtenagentur dpa. Auch der ehemalige Bundesliga-Referee Markus Merk machte sich in Anlehnung an das Tennis für ein «elektronisches Auge» als technisches Hilfsmittel stark. «Im Endeffekt möchte niemand solche klaren Fehlentscheidungen sehen. Das ist nicht mehr zeitgemäß», sagte Merk. Schalke-Coach Magath outete sich ebenfalls als Fan des Video-Beweises, hat aber wenig Hoffnung. «Ich fürchte, ich werde ein Umdenken der FIFA in dieser Angelegenheit nicht mehr erleben.»

Der Eindruck drängt sich auf, dass die FIFA jede Debatte während der WM unterdrücken will. Doch die ist längst im Gange. «Das war ein klares Tor. Das muss der Linienrichter sehen», sagte Beckenbauer kurz nach dem nicht gegebenen England-Tor und prophezeite richtig: «Jetzt wird es heiße Diskussionen geben.» Was durch befürchtete Sicherheitsrisiken und Organisationsdefizite zum Glück ausblieb, haben nun die Schiedsrichter dem afrikanischen Premieren-Turnier beschert: Verheerende Negativschlagzeilen.

Was in anderen Sportarten längst gut praktizierter Alltag ist, erscheint im konservativ geführten Fußball schwer umsetzbar. Obwohl zwei Dutzend Kameras alle WM-Spiele in Super-Slomo und 3-D in die Wohnzimmer der Welt übertragen, müssen sich die Schiedsrichter auf ihre eigenen Augen verlassen. Selbst im ultrakonservativen Cricket ist der Video-Beweis erlaubt.

Von den Gralshütern der Fußball-Regeln wurde jede moderne Technologie ausgerechnet wenige Wochen vor der WM endgültig verbannt. «Das nicht anerkannte Tor für England ist die letzte Warnung für FIFA-Präsident Sepp Blatter, der immer noch im 19. Jahrhundert steckt», formulierte die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Montag die Meinung vieler WM-Fans.

Nach jahrelangem Testen wurde der von Blatter lange als Modell der Zukunft gefeierte Chip-Ball vom International Football Association Board (IFAB) für untauglich erklärt. Stattdessen soll auch mit Blick auf die WM 2014 das Projekt mit zwei weiteren Assistenten hinter den Toren fortgeführt werden. Menschliche Fehler gehören zum Fußball, lautet die neue Sprachregelung. Viele Schiedsrichter, wie der deutschen FIFA-Referee Knut Kircher finden das gut. «Die FIFA hat das so entschieden. Wenn das wieder aufgerollt wird, ist das Blödsinn.»

Fußball / WM / FIFA / Schiedsrichter
28.06.2010 · 23:16 Uhr
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