Original: 8th Wonderland
Regie: Jean Mach, Nicolas Alberny
Darsteller: Matthew Geczy, Robert William Bradford
Laufzeit: 94min
FSK: ab 12 Jahren
Genre: Thriller, Drama (Frankreich)
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Das 8. Weltwunder müsste das Paradies sein. Ein demokratisches Eldorado, wo Gleichheit und Menschlichkeit wie Milch und Honig fließen. Auch wenn diese utopisch anmutende Vorstellung die politischen Ambitionen eines jeden Jungrevolutionärs in den Schatten stellen dürfte, gilt sie den Bewohnern des ersten virtuellen Staates, dem 8. Wonderland, doch als drängendes Ausrufezeichen. Millionenbetreten täglich dieses Land, um etwas durchzusetzen, was kaum noch möglich scheint: Veränderung. Nichts weniger als die Verbesserung der Welt steht dabei ganz oben auf der Liste. Das Politische muss aus seinem Asyl zurückkehren, die Systemfrage gestellt werden dürfen.
Das 8. Wonderland ist auf keiner Landkarte verzeichnet und hat nichts mit dem Leben in konventionellen Staaten gemeinsam. Wo sonst Landschaften blühen, oder eben nicht, wo sich sonst hauptstädtisches Treiben, Kapital oder Waren konzentriert, wo sich in konventionellen Staaten Ränder, Zonen und Provinzen bilden, kennt das 8. Wonderland nur Beziehungen, Netze und Kommunikation.
Das 8. Wonderland ist ein neuer, sozialer Raum und er wächst und vergrößert sich unaufhaltsam durch die gemeinsamen Aktionen seiner Bewohner. Die virtuellen Staatsbürger schweben im 8. Himmel, der neuen Heimat eines demokratischen Geistes. Ihr Lebens-Rhythmus wird durch keinen Glockenschlag bestimmt. Hier kennt man nur einen Rhythmus – den der wöchentlichen Abstimmung über Zusammenleben, Aktionen und die Aufnahme revolutionärer Beziehungen zu den geobasierten Ländern. So sieht es die Verfassung des 8. Wonderland vor. Totale Demokratie ist das Ziel, doch dieser paradiesische Zustand kennt viele Zwischentöne, wie die Bewohner des 8. Wonderland bald am unverwüstlichen eigenen Leib erfahren müssen.
Die Menschen, die täglich in Italien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Iran, Russland oder in China aufwachen und allwöchentlich ihren Pflichten als Staatsbürger des 8. Wonderland nachgehen, sind alles andere als blauäugige Weltverbesserer – sie wollen dem medialen und politischen Mantra einer globalen Hegemonie westlicher Werte etwas entgegensetzen. Wo Nachrichten von Staatschefs produziert, von anderen dementiert und von dritten wieder neu in die Welt gesetzt werden, kann der erste Schritt nur Destabilisierung der Medien sein.
Mit fröhlicher Anarchie wendet sich das 8. Wonderland zuallererst an die Fundamente, die Geld, Informationen und Macht dieser Welt zirkulieren und doch immer wieder das gleiche Ziel finden lassen. Rom ist der Schauplatz einer Aktion gegen das religiöse Machtzentrum, den Vatikan. Mit größtmöglichem Pläsier begeben sich Giovanni und Isabella, bewaffnet mit mehreren Kondomautomaten, auf geweihten Boden und sorgen für verhütungstechnische Auf- und ideologische Umrüstung der katholischen Kirche. Während das Pärchen noch die letzten Automaten anschraubt, wird an anderer Stelle – und doch im Namen des 8. Wonderland – eine Darwin Bibel in Millionen-Auflage gedruckt.
Mit ihren Aktionen wollen die Bewohner des 8. Wonderland den Finger in die Wunden globaler Ungerechtigkeit und der medialen Aufmerksamkeitsökonomien legen. In diesem Sinne wollen es die Internet-Partisanen auch mit der doppelzüngigen Rhetorik um die Todesstrafe in den USA aufnehmen.
Alljährlich begnadigt der US-amerikanische Präsident im allgemeinen Thanksgiving-Schlachten seinen persönlichen Truthahn, der um die Todesstrafe des Backofens herumkommt. Grund genug für die bewaffneten Kämpfer des 8. Wonderland, den Truthahn und damit die paradoxe amerikanische Politik zwischen Todesstrafe und Begnadigung als Geisel zu nehmen. Truthahn oder Mensch, Begnadigung oder Todesstrafe – das ist hier die Frage, auf die das 8. Wonderland eine Antwort einfordert.
Doch auch die Bewohner des 8. Wonderland müssen erfahren, dass die Aufmerksamkeit der Medien einer ganz eigenen Dynamik folgt und in den wenigsten Fällen zu einer Veränderung der Situation führt. Wenige Tage später stimmt die Bevölkerung des 8. Wonderland über eine Radikalisierung ihrer Aktionen ab.
Drei millionenschwere Fußballstars italienischer, lateinamerikanischer und englischer Provenienz werden entführt und finden sich, bewacht von schwer bewaffneten Soldaten, in einem chinesischen Sweatshop zwischen schuftenden Kindern beim mühseligen Fußballschuhe-Nähen wieder.
Mit blutigen Händen, leeren Mägen und einem chinesischen Yuan als Lohn werden sie einige Tage später unweit von Barcelona wieder aufgegriffen und ein rhetorisch nicht minder schwer bewaffneter Streit über die maskierten Weltverbesserer entbrennt, die nichts besseres zu tun haben als unzähligen Fußballfans auch noch die letzte Freude zu rauben.
Doch weder der Vatikan veränderte nachhaltig seine Verhütungspolitik noch wurde der Zusammenhang zwischen dem Reichtum der einen und der Armut der anderen in den Medien ernsthaft diskutiert und auch der amerikanische Präsident hatte nichts Eiligeres zu tun als auch noch den letzten begnadigten Truthahn unters Messer zu befehlen.
Als der Iran einen Atomdeal mit Russland ankündigt, scheint dies die Feuerprobe für das 8. Wonderland auf der Bühne internationaler Politik zu sein. Wo die UN als Vermittler nichts ausrichten kann, bezieht das 8. Wonderland Stellung. Die Zeit ist reif, so beschließen einige Mitglieder, auch in diplomatische Beziehungen zwischen den Nationen einzugreifen.
Um den Deal zwischen Iran und Russland zu stoppen und damit die nukleare Aufrüstung Irans aufzuhalten, platziert das 8. Wonderland eine doppelzüngige Übersetzerin und einige wohl gewählte Irritationen in die Verhandlungen zwischen beiden Ländern.
Doch in den Reihen der virtuellen Gemeinschaft regen sich erste Zweifel gegen Art und Durchführung der clandestinen Intervention. Je einschneidender und weiter der physische Arm des virtuellen Staates reicht, desto größere innere Unruhe wird im Landesinneren ausgelöst.
Vor allem, da das 8. Wonderland schon längst nicht mehr Geheimtipp und Geheimgesellschaft ist, sondern auf die Agenda der internationalen Geheimdienste und in die Schlagzeilen globaler Medien geraten ist. Für einige der virtuellen Bewohner Grund genug, ihre Zelte im Cyberspace abzubrechen. Denn die Geheimdienste geben sich nicht mit der Untersuchung der Website zufrieden, sondern machen sich daran, die IP-Adressen der Nutzer und damit ihre Identität zu lokalisieren.
Für viele schrumpft die Weite des Freihheitsraums Internet auf eine sehr konkrete Sollbruchstelle, die Internetverbindung, zusammen. Und auch wenn der virtuelle Partisan keine Spuren im Sand hinterlässt und ein virtueller Staat nicht besetzt werden kann, ist auch seine Anwesenheit im Netz aufspür- und verletzbar.
Eine erste Auswanderungswelle erfasst das 8. Wonderland, doch mindestens genauso viele behaupten ihre neue Heimat trotz der Gräben, die um sie herum in Stellung gebracht werden, blockieren die Landesgrenzen und verstärken die Sicherheitsbestimmungen an den Ein- und Ausgängen.
Doch mit steigender Popularität gewinnt das 8. Wonderland auch neue Steuerzahler, die ins Demokratie-Paradies strömen. Das 8. Weltwunder wird zum attraktiven Mainstream und ruft auch andere Begehrlichkeiten auf den Plan. Ein Hochstapler gibt sich als Schöpfer des 8. Wonderland aus und unterminiert eines der Grundprinzipien der virtuellen Gemeinschaft.
Denn im 8. Wonderland gibt es keine Hierarchie, keinen Führer oder Machtzentrum. Die so vielversprechende Trennung zwischen Aktion und sichtbarem Agenten wird zur großen Schwachstelle des Wunderlands. Denn John McClane gibt sich nicht nur als Sprachrohr des unsichtbaren Staates aus, er stellt sich auch an die Spitze einer Marketingmaschinerie, die die mittlerweile als Kult gefeierten Guerilla-Aktionen des 8. Wonderland der westlichen Verwertungslogik einverleibt.
Die Community ist nun im Zugzwang und muss ihrerseits einen Sprecher, einen Botschafter im besten Wortsinn, berufen, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Mit den nun vom Botschafter moderierten Aktionen gegen einen international agierenden Großkonzern, der von Land zu Land zieht, Kapital sammelt und ArbeiterInnen entlässt, streut das 8. Wonderland schließlich groben Sand ins Getriebe der globalen Finanzströme.
Mit gezielter Produktsabotage lassen sie die Aktienkurse des gesamten Konzerns und seiner Subunternehmen in den Keller fallen und sorgen so für erdrutschartige Verluste in sämtlichen Branchen, in denen der Konzern aktiv ist. Der Angriff auf den multinationalen Konzern mit Niederlassungen in mehr als 22 Ländern bringt nicht nur eine Unternehmenskalkulation, sondern auch die Etats ganzer Länder ins Ungleichgewicht. Doch es scheint, als wäre die Aktion, die sich vor allem gegen die Entlassungspolitik des Unternehmens richtete, der Tropfen gewesen, der den weltumpannenden Finanzfluss über die Ufer treibt. Denn die Gefährdung eines systemrelevanten Unternehmens ruft nun auch schwere Geschütze der westlichen Mächte auf den Plan.
Schon bald ereilt das Stigma des Terrorismus die Internet-Gemeinschaft und damit der Ausschluss aus der politischen Debatte. Mit der Rhetorik der Schurken- Staaten wird das 8. Wonderland in ein totaleres Außen verbannt als die politische und räumliche Alternative eines Internetstaates es je hätte sein können.
So schnell die Medien dem 8. Wonderland zu ungeahnter Berühmtheit verholfen hatte, so schnell sind sie jetzt dabei, das demokratische Prinzip des Wunderlands als bloße Simulation, die Interventionen ihres Botschafters als Propaganda zu entlarven. Das 8. Wonderland antwortet mit weiterer Radikalisierung.
Es ruft auf zur Abstimmung über die Hinrichtung eines korrupten Politikers, der Mitglied in einem mafiösen Kartell ist und sich am systematischen Drogenhandel beteiligt. Doch damit riskiert die Gemeinschaft mehr als nur die Stigmatisierung durch den politischen Diskurs. Das Kollektiv selbst muss sich nun die Systemfrage gefallen lassen, als sich zahlreiche Mitglieder – aus politischen Gründen – aus dem demokratischen Wunderland zurückziehen.
Währenddessen geht der Kampf gegen den virtuellen Staat mit unverminderter Kraft weiter. In Kollaboration mit dem Hochstapler John McClane werden dem 8. Wonderland terroristische Attentate in zahlreichen europäischen Metropolen in die Schuhe geschoben. Wenn man es am wenigsten gebrauchen kann, gilt immer noch und auch an der Grenze zwischen virtuellem und physischem Raum: Nomen est Omen. John McClane übernimmt im Namen von 8. Wonderland die volle Verantwortung für die Bombenexplosionen, bei denen zahllose Menschen starben.
Die Jagd auf die Terroristen des 8. Wonderland ist eröffnet.