Everlasting Summer: Japanische Visual Novel aus Russland
Für viele Gamer wird der Begriff Visual Novel noch ein unbeschriebenes Blatt sein. Das actionarme Spiele-Genre hat seinen Ursprung in Japan und es existieren dort bereits ein paar sehr erfolgreiche Vertreter, die nun auch so langsam auf europäischen und amerikanischen Spieleplattformen ihren Platz finden.
Auf Steam wurden im Verlauf des letztens Jahres einige Visual Novels veröffentlicht, von welchen manche, wie das schräge Tauben Dating Game Hatoful Boyfriend, sogar in den Verkaufscharts zu finden waren.
Was macht man nun in solch einem Game? Im Prinzip funktioniert eine Visual Novel ähnlich wie Telltale Games The Walking Dead. Der Spieler durchlebt eine Geschichte und kann an gewissen Wendepunkten durch Anklicken einer Antwort den weiteren Verlauf entscheidend verändern. Bei klassischen Visual Novels gibt es allerdings keine animierten Szenen oder Momente, in denen der Spieler eine Figur steuern kann, sondern es ist einfach nur viel Text zu lesen, der von Mangabildern visuell unterstützt wird.
Zugegeben, die original japanischen Visual Novels haben ihren Schwerpunkt meistens auf Datinggeschichten, die letztendlich in nackten Tatsachen enden. Jedoch finden sich auch sehr emotionale Storys unter all den Yaoi und Shonen-Ai Novels.
Eines dieser wunderschönen Werke stammt aus der Feder des russischen Entwicklerstudios Soviet Games. Diese haben die Visual Novel Everlasting Summer unter Creative Commons als kostenloses Game auf Steam veröffentlicht. Wie nun gerade russische Entwickler ohne japanischen Hintergrund darauf kommen, eine Visual Novel zu entwickeln, bleibt eine spannende Frage. Das Ergebnis kann sich aber auf jeden Fall sehen lassen!
In Everlasting Summer begegnet der Spieler zu Beginn dem Hauptcharakter Semyon. Dieser lebt vereinsamt in seinem vermüllten Appartment, welches sich in einem trostlosen, typisch russischem Plattenbau befindet. Sein Leben ist bestimmt von Onlinekontakten, emotionslosem Alltag und er geht kaum vor die Tür. Nachts verfolgen ihn seltsame Träume über eine Stimme, welche ihn auffordert ihr zu folgen. Eines Tages, als er in russischer Eiseskälte auf seinen Bus wartet, geschieht etwas Seltsames. Er nickt im Bus ein und wacht in einer sonnigen, ländlichen Gegend wieder auf. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen.
Schon bald stellt Semyon fest, dass er in einer Art sowjetischen Pfadfinderlager gelandet ist, welches aber so wirkt, als wäre die Zeit zurückgedreht worden. Er begegnet kurz nach der Ankunft schnell verschiedenen männlichen und weiblichen Pionieren, die sich dort alle für eine Woche im Ferienlager aufhalten. Seltsamerweise kann ihm niemand beantworten, welches Jahr gerade ist, wie Semyon hier her gekommen ist und ob es neben dem Ferienlager noch andere Orte in der Umgebung gibt. Immer mysteriöser werden die ausweichenden Antworten.
Nach und nach findet er sich mit seiner Situation ab und lernt bei den täglichen Aufgaben jede der weiblichen Camp-Insassen näher kennen. Semyon beginnt, langsam wieder Emotionen für “reale” Menschen zu haben. Im Laufe des Games können einige der weiblichen Charaktere eine engere Bindung zum Hauptcharakter aufbauen, das ist aber von den Antworten abhängig, die man als Leser auswählt.
Je nachdem, wie der Spieler sich entscheidet, gibt es am Ende der Visual Novel ein anderes Finale, insgesamt 13 verschiedene Enden kann Everlasting Summer bieten. Leider sind nicht alle davon gut. Jedes Mädchen hat sowohl ein gutes, als auch ein schlechtes Ende aufzuweisen. Findet Semyon heraus, was es mit der Zeitreise ins sowjetische Ferienlager auf sich hat und findet er wieder zu einem normalen Leben zurück? Oder bleibt er der vereinsamte Nerd, der er vorher war?
Die authentischen Mangazeichnungen lassen gar nicht anmerken, dass das Game eine russische und keine japanische Produktion ist. Auch die Musik ist zum Genre passend gewählt. Everlasting Summer gibt es seit 19. November 2014 kostenlos auf Steam. Leider nur mit Englischer und Russischer Sprachausgabe.
Fazit Shatiel:
Wer gerne liest, dem Englischen oder Russischen mächtig ist und dabei noch farbenfrohe Mangabilder als visuellen Anreiz anschauen will, muss sich Everlasting Summer unbedingt einmal zu Gemüte führen. Allerdings sollten Leute, die bei viel Text gerne weiterklicken, dann doch die Finger davon lassen. Denn Buchstaben gibt es reichlich. Die Story ist mysteriös und emotional zugleich, Semyon’s seltsame Situation und sein langsam erwachendes Gefühlsleben reißen einen mit, auch wenn das Spiel “nur” aus Text mit Bildern besteht. Für einen einfachen Spieldurchlauf (ein Ende) können gute 4 Stunden veranschlagt werden, immerhin sollte man doch wie bei einem Buch genau lesen, was der Autor für den Leser fabriziert hat. Für ein kostenloses Game war Everlasting Summer richtig gut, auch wenn ich genau das mieseste Ende von allen erwischt hatte (Lena’s Bad End).