Analyse: Merkels AKW-Abschaltung auf wackeligen Füßen

Berlin (dpa) - Die Regierung hat die AKW-Abschaltung mit heißer Nadel gestrickt. Die Konzerne könnten mit guten Erfolgsaussichten dagegen klagen. Und die Laufzeiten sind gar nicht ausgesetzt, das Atomgesetz gilt weiter. Kanzlerin Merkel und Umweltminister Röttgen sind in Erklärungsnot.

Japans Botschafter Takahiro Shinyo geht mit gesenktem Kopf an dem guten Dutzend Kameras vorbei. Er will an diesem Mittwoch nichts sagen, zu erschütternd sind die Nachrichten vom Unglücksreaktor Fukushima. Im Sitzungssaal 3101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses hatten ihm zuvor die Mitglieder des Umweltausschusses des Bundestags ihr Mitgefühl ausgesprochen.

Dann wandten sie sich wieder der deutschen Atomdebatte zu und verlangten Antworten von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der nach Fukushima zum Atomausstiegsminister werden will. Doch die Entscheidung, bis zum 15. Juni mit neun statt 17 Atomkraftwerken auszukommen und die acht stillstehenden Meiler einem besonders gründlichen Check zu unterziehen, ist erklärungsbedürftig.

Röttgen sucht nach Worten und knetet dabei seine Hände. Am Montag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch gesagt, die Laufzeitverlängerung werde ausgesetzt. Doch nun erklärt Röttgen nach der Sondersitzung des Umweltausschusses, das dreimonatige Moratorium sei politisch, nicht rechtlich gemeint. «Die Exekutive kann nicht Gesetze außer Kraft setzen», sagt er. Auch der Vize-Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, betont: «Ein solches Moratorium, also die vorübergehende Aussetzung der Wirkung eines Gesetzes, kennt unsere Verfassung nicht.» Gesetze beschließen oder aufheben könne nur das Parlament.

Das bedeutet: Die 11. und 12. Novelle des Atomgesetzes mit den längeren Laufzeiten gelten weiter. Daher müsste rechtlich gesehen auch - anders als von der Regierung dargestellt - Neckarwestheim I nicht sofort vom Netz. Es soll zwar auf Drängen von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus vor der Landtagswahl am 27. März stillgelegt werden, aber die zusätzlichen acht Jahre aus dem neuen Atomgesetz könnten auf andere AKW übertragen werden. Generell gilt: Wenn die Betreiber bis Juni sehen, die Regierung will bestimmte Meiler ganz stilllegen, können sie deren Restlaufzeiten von mindestens acht Jahren flugs auf neuere Meiler übertragen.

Dazu brauchen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall nicht das Okay der Atomaufsichtsbehörden, sondern eine Mitteilung an das Bundesamt für Strahlenschutz reicht. Röttgen dementiert dies nicht und sagt lediglich: «Das sind abwegige Gedanken». Merkel hatte am Montag gesagt, es solle während des Moratoriums keine Strommengentransfers geben. Angesichts der rechtlichen Unklarheit ist sie damit auf das Wohlwollen der Konzerne angewiesen. Röttgens Sprecherin betont, es habe im Vorfeld der keine Absprachen mit den Konzernen gegeben.

Die Unternehmen wurden von dem Aktionismus der Bundesregierung kalt erwischt. «Das Tempo und ist bemerkenswert, andere Länder gehen damit pragmatischer um und warten erstmal die Analyse der Ereignisse in Japan ab», sagt ein Vorstandsmitglied. Sorgen muss den Konzernen machen, dass es in Koalitionskreisen schon heißt, man müsse schneller als Rot-Grün aus der Atomkraft aussteigen, also noch vor 2025. Röttgen nennt ein Zeitfenster von zehn bis 15 Jahren.

«Wir warten jetzt erstmal auf die Weisung der Aufsichtsbehörden», heißt es in den Konzernzentralen auf Fragen, ob man gegen die Zwangsanordnung zur Abschaltung klagt. Man sei gespannt, wie das Abfahren der Anlagen begründet wird. Allerdings könnte eine Klage zu einem neuen Atomgesetz mit deutlich kürzeren Restlaufzeiten führen.

Die Regierung stützt ihre Abschalt-Maßnahme auf § 19, Absatz 3, des Atomgesetzes, das heißt, die Meiler werden wegen drohender Gefahren stillgelegt. «Doch die Situation ist die gleiche wie im Herbst bei der Laufzeitverlängerung», sagen die Betreiber.

Röttgen sagt, es handele sich um «Gefahrenvorsorge», Juristen geben Klagen gegen die Zwangsabschaltung gute Chancen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast findet, das sich Merkel mit dem Ziehen des Paragrafen 19 erpressbar mache - den Konzernen entgehen durch die Stillstände mehr als 500 Millionen Euro. Diese könnten sagen, «der Sonderfall hat gar nicht vorgelegen, welchen Schadensersatz zahlst du?», betont Künast.

SPD, Grüne und Linke fordern angesichts des Schwebezustands rasch ein neues Atomgesetz und eine Abschaltung der acht auf Standby geschalteten Anlagen sowie den Verfall von deren Reststrommengen, damit die anderen Meiler nicht über das Jahr 2050 hinaus laufen.

Röttgen hat sich am Dienstag nach Meinung der Fraktionsvize Ulrich Kelber (SPD) und Bärbel Höhn (Grüne) als Blender entlarvt, dessen wohlklingende Worte nicht zu seinem Handeln passten. Röttgen laviert etwas, aber letztlich wird der Sicherheits-Check wohl auf Basis des Kerntechnischen Regelwerks aus den 80er Jahren stattfinden - verantwortlich ist der Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit, Gerald Hennenhöfer, der zuvor beim AKW-Betreiber Eon beschäftigt war.

Die Grünen rechnen daher mit «business as usual» und halten die ganze Atom-Kehrtwende für eine Show. Höhn verweist darauf, dass das von den Umweltministern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) erarbeitete kerntechnische Regelwerk mit schärferen Standards von Röttgen und Hennenhöfer nicht in Kraft gesetzt worden ist. Der von den Ländern unterstützte Entwurf steht auf der Ministeriumsseite und sollte bis 2011 umgesetzt werden. Röttgen sagt: Gabriel habe die Arbeit am neuen Regelwerk nicht zu Ende gebracht. Das gehöre zu den vielen unerledigten Aufgaben, die Gabriel ihm hinterlassen habe.

Atom / Bundesregierung / Deutschland
17.03.2011 · 00:21 Uhr
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