Kommentar: Sind Videospiel-Journalisten bestechlich? Warum verschenkt Ubisoft Nexux 7-Tablets?
Sind Videospieljournalisten bestechlich? Sind ihre Texte nicht das bedruckte oder virtuelle Papier wert, auf welchem ihre Worte zum Leben erwachen? Diese Skepsis ist unter Game-Fans allgegenwärtig — und ist in den vergangenen Tagen erneut aufgeflammt, als bekannt wurde, dass Ubisoft auf einer PR-Veranstaltung für Watch Dogs mal eben so Nexus 7-Tablets an die anwesende Journalistenscharr verteilte. Gratis. Zum Behalten. Für die Ewigkeit.
Natürlich wird jeder Journalist, der auch nur einen kleinen Funken Selbstachtung vor sich und seinem Beruf besitzt, behaupten, dass ein solches Geschenk niemals seine Wertung eines Spiels beeinflussen würde. Also ist diese Art der Bestechung völlig sinn- und wertlos. Der unterbezahlte Schreiberling freut sich über ein nagelnaues Tablet — und Ubisoft? Naja, die bekommen halt nichts. Eine Einschleimungstaktik, die nach hinten losging. So einfach ist das.
Oder etwa nicht?
Nein, natürlich ist die Wahrheit deutlich komplizierter. Es stimmt selbstverständlich, dass kaum ein Journalist beim Schreiben seines Watch Dogs-Reviews selbstzufrieden auf sein Nexus 7 blicken wird und wohlwollend einen netten Text samt einer großen, fetten 10 unterm Fazit herunterschreibt. Ganz so einfach ist die Manipulation dann doch nicht. Was jedoch oftmals vergessen wird, ist, dass auch Videospiel-Redakteure mal einen guten Tag erwischen — und genauso oft auch einen schlechten Tag.
Um dies weiter auszuführen, ist es nötig zu betrachten, woher Videospiel-Reviews und -Magazine eigentlichen stammen. Sie haben ihren Ursprung als Beilagen zu PC-Magazinen. Noch bevor es die ersten Gaming-Zeitschriften in Deutschland gab, besaß die Happy Computer, eine der bedeutendsten PC-Blätter der 80er, einmal im Monat ein Heft-im-Heft, das sich ganz allein den Computerspielen widmete. Im Rest der Welt war es kaum anders. Aus diesem Milieu stammen auch die Wertungsphilosophien, die noch bis heute in unserer Branche allgegenwärtig sind: Anders als Bücher, Musik oder Filme, die in ihren Rezensionen eher als Kunstwerke betrachtet und zumeist ohne Objektivitätsanspruch getestet werden, betrachten sich Game-Reviews seit jeher als Produkt-Informationen. So wie man PC-Hardware mit klaren, objektiven Maßstäben messen kann, versucht man auch Spiele in ein objektives Korsett zu zwängen. Es wird dabei gerne missachtet, dass der Spaß beim Spielen — genauso wie jede andere Form der Unterhaltung — zu einem sehr hohen Grad von subjektiven Gefühlen geleitet wird. Das bedeutet nicht, dass es diese Form der Manipulation nicht auch bei anderen Medien-Rezensionen gäbe — im Spielebereich sind sie aufgrund der mitschwingenden Objektivität jedoch nochmals ein wenig lukrativer für den werbenden Vertrieb.
Selbstverständlich versuchen Redakteure unbefangen an ein zu testendes Spiel zu gehen. Die subjektiven Empfindungen werden soweit wie möglich in den Hintergrund gedrängt, um den Lesern ein Urteil zu präsentieren, das möglichst verallgemeinbar ist. Doch trotz dieser Anstrengungen, ist der Genuss eines Spieles immer auch von der persönlichen Lebenslage seines Rezipienten geprägt: Ein Redakteur, der heute einem Spiel 83% verleiht, könnte demselben Titel morgen eine 88% verleihen — wegen Umständen, die nichts mit dem Spiel zu tun haben. Nur etwa, weil er ein besonders guten Tag erwischte oder sich an einem anderen besser auf das Setting oder Genre des Spiels einlassen konnte — und plötzlich mehr Spaß empfindet. Es kommt nicht selten vor, dass man gar Spiele, die man eins verachtete, später als verstecktes Juwel erkennt. Das PlayStation 3- und Xbox 360-RPG NIER ist wohl ein solcher Fall: Auf Metacritic gurkt es mit einem Schnitt im hohen 60er-Bereich herum. Doch fragt man heute nach Meinungen, fangen bei vielen die Augen zu strahlenen an — und plötzlich hört man, dass NIER trotz seiner Fehler eines der besten und einzigartigsten japanischen Rollenspiele sei, die man in den vergangenen Jahren spielen durfte. Manchmal dauert es eben, bis man die wahre Schönheit erkennt. Oftmals passiert dies erst dann, wenn man sich ohne Zeitdruck einem Spiel widmet oder die starren Regeln der Bewertungskunst aus seinem Kopf verbannt.
Gerade daher, scheint es für Videospiel-Publisher lohnenswert subtil auf die Gefühlslage der Reviewer Einfluss zu nehmen. Ein teures Tablet zu verschenken oder viel Geld für eine Journalisten-Party im Rahmen einer Spiele-Messe, die noch Tage später das Gesprächsthema Nummer 1 der versammelten Presse ist, zu investieren, mag nicht direkt die Bewertungen nach oben springen lassen. Indirekt jedoch sorgt es für eine fröhlichere Stimmung während des Spielens. Der Faktor, den der Hersteller normalerweise nicht beeinflussen kann, wird plötzlich zumindest ein wenig kontrollierbarer.
Vielleicht hat sich gestern die Freundin vom Redakteur getrennt. Vielleicht ist seine Oma gestorben. Vielleicht ist er auch einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden oder fühlt sich einfach der Videospiele für eine zeitlang überdrüssig — auch dies passiert häufig, wenn man 40 Stunden und mehr die Woche nur das Thema Games im Kopf hat. Am Ende steigt beim Einlegen der Disc dann doch wieder die Stimmung zumindest ein bisschen, schließlich wird man an den Tag erinnert, an welchem man ein cooles Tablet geschenkt bekam. Oder als man auf dieser Party diese schnucklige Redakteurin aus Berlin kennengelernt hat. Die könnte man doch eigentlich mal anrufen, man wollte schließlich im Kontakt bleiben. Die Hoffnung ist es, mögliche negative Schwingungen so weit wie möglich zu verscheuchen, indem man positive Erinnerungen mit der eigenen Marke oder seinem größten Spiel des Jahres aufbaut. Dann wird aus der 7/10 vielleicht die gewünschte 8/10. Ohne Drohungen. Nur durch emotionale Manipulation.
Ist diese Art der Vorhergehensweise in irgendeiner Art und Weise tolerierbarer als die klassische Bestechung? Nein. Im Gegenteil: Ihre unterschwellige Natur macht sie besonders gefährlich — und umso verachtenswerter. Auch für die Publisher ist es ein Spiel mit dem Feuer: Wer zu offensichtlich nach Manipulation trachtet, erwünscht nicht den erzielten Effekt — sondern macht die Redakteure lediglich skeptisch. Weshalb, fragt sich der Schreiberlich dann, sieht es Ubisoft für nötig mir ein Tablet zu schenken? Ist Watch Dogs etwa doch nicht so gut wie erhofft und sie versuchen sich auf diesen Weg meine Gunst zu erkaufen?
Es gibt jedoch einen einfachen Ausweg aus der Misere, die sich in vielen Redaktionen leicht umsetzen lässt: Wer auf einer PR-Veranstaltung zu einem Spiel geht, sich dort verwöhnen oder gar beschenken lässt, mag ein Preview schreiben — doch das Review übernimmt jemand anders.