(Bier)Kelle

BackRoad Fahrer
ID: 1297
L
28 April 2006
6.829
507
Moin zusammen,

mir geht zur Zeit ein Thema durch den Kopf, was ich gerne mal andiskutieren möchte.

Wie der Betreff vermuten lässt, geht es um die Presse.

Es fing vor gut einem Jahr mit der Causa Wulff an, wo z.B. über einen Anruf bei der Bild berichtet wurde, der mehrere Wochen zurück lag.
Weiter ging es dann letztes Jahr im Oktober, als Steinmeier designierter SPD Spitzenkandidat wurde, und der Presse auf einmal auffiel, dass selbiger seit Jahren für ein paar tausend Euro Vorträge hält.
Jetzt ist Brüderle dran, nachdem auch er Spitzenkandidat seiner Partei wurde, in dem Fall mit einer sexistischen Äußerung.

Anstatt ereignisorientiert zu berichten, scheinen manche Teile der Presse Meldungen zu sammeln, um sie dann in einem anderen Zusammenhang stimmungsmachend gebündelt zu präsentieren.

Dass in manchen Fällen längere Recherchen von Nöten sind, dass daher Beiträge "verspätet" erscheinen, steht komplett außer Frage.

Für mich hat die Presse die Aufgabe, unabhängig über Ereignisse zu berichten, hinter die Kulissen zu schauen, nicht aber, gezielt poltisch Stimmung zu machen.

Wie seht Ihr das?

gruss kelle!
 
Ist es bei sowas nicht meistens das große, bunte Boulevardblatt aus dem Axel-Springer Verlag?

Bei uns in der Firma liegt meistens eine im Aufenthaltsraum und ich frage mich dann beim durchblättern (viel mehr kann ich damit nicht anfangen) wer für sowas noch Geld bezahlt.

Womit ich der Bild jetzt nicht alleine die Schuld in die Schuhe schieben will, aber wie gesagt, die sind ja immer recht schnell mit solchen provokanten Meldungen.
 
Ist es bei sowas nicht meistens das große, bunte Boulevardblatt aus dem Axel-Springer Verlag?
Aktuell ist es wohl eher Gruner & Jahr... Die scheinen aufholen zu wollen.

Ich finde es erschreckend, wie die Presse zu Zeit versucht, politischen Einfluss zu nehmen. Vor allem trifft es sehr gezielt die Konkurrenz unserer Kanzlerin. Warum bringt mal niemand die gesammelten Skandälchen von Angela Merkel?

Ich lese noch Presse, muss mir aber immer häufiger Sorgen um die Unabhängigkeit mancher Blätter machen. Das die Bild häufiger reisserischen Blödsinn schreibt, gehört wohl zur Redaktionsvorgabe. Dass der Stern sich schon mal verleiten lässt, politisch aktiv zu werden, damit kann ich mich auch anfreunden. Ich würde mir aber wünschen, dass es auch noch unabhängige Presse gibt. Und die Chance, da mal das richtige Blatt zu erwischen, wird immer schwerer.

Marty
 
Warum bringt mal niemand die gesammelten Skandälchen von Angela Merkel?

Die sind in der Schublade und werden in der Sekunde rausgezaubert falls sie den falschen Leuten auf die Füße tritt. Da sie aber nicht mal über ihre leeren Worthülsen und Sprechblasen hinaus kommt hat sie da auch nichts zu befürchten.

Die Bild fühlt sich mächtiger als Bundespräsident/ Bundesklanzlerin und ist es sicherlich auch.
 
Ich denke nicht, dass man das nun Schwarz-Weiß sehen kann. Klar ist ein Spitzenkandidat oder Bundespräsident weit mehr von Interesse als ein kleiner Politikfutzi. Klar hat die Presse da den Auftrag zu Berichten, damit die Wähler wissen, welcher Mensch da mehr zu sagen hat. Da können es ruhig auch mal ältere bewiesene Geschichten sein.

Es ufert halt nur leider ein wenig aus und wird nicht neutral berichtet. Bei Wulf wurde sich am Ende auch über Bobbycars aufgeregt, was eine Lappalie ist, es wurde sich darum gestritten ob der Landtag für Gestecke bezahlt hat, für die er nicht zahlen durfte, was buchhalterisch einfach passieren kann. Es gab bei Wulff aber sehr wohl Fakten, die die Menschen interessieren und klar sollte die Presse darüber berichten. Es wurde nur leider parallel zu viel kleinkram mit aufgebauscht.

Bei Steinbrück ist es doch ähnlich. Klar ist es von Interesse, dass er Geldfixiert ist und sein Amt ruhen lässt, wenn er keine Vorteile mehr für sich selbst sieht. Gleichzeitig werden so Dinge wie die 5 € für einen Wein wohl zu sehr ausgeweitet. Berichten ja aber keine Hetze sollte auch hier die Devise sein.

Bei Brüderle ist es doch noch ganz anders. Er ist nicht sooo sehr von Interesse und im Grunde ist es nicht mal ein Skandal in einer normalen Welt.
 
Für mich hat die Presse die Aufgabe, unabhängig über Ereignisse zu berichten, hinter die Kulissen zu schauen, nicht aber, gezielt poltisch Stimmung zu machen.

Warum soll es einzelnen Presseerzeugnissen denn nicht erlaubt sein politisch Stimmung zu machen, deiner Ansicht nach?
Jede Zeitung, jedes Magazin, ja eigentlich jedes Presseerzeugnis hat eine Linie. Die durchaus auch politisch sein kann und in diesem Sinne kann die Presse doch auch politisch Stimmung machen.
Für die Boulevardblätter, allen voran dieses recht billige Blatt mit den vielen BILDern, gilt dies natürlich in höherem Maße als für die etwas besser recherchierenden anderen Presseerzeugnissen.
Aber es ist doch seit es Presseerzeugnisse gibt, das Anliegen der Autoren und Redakteure, so neutral manch Artikel auch sein mag, Stimmungen und Meinungen zu erzeugen und zu verbreiten.
 
Hey Bierkelle hätte nie gedacht, dass sowas mal von dir kommt !!


Wahrscheinlich fängst du an zu hinterfragen ??
 
Wie seht Ihr das?
Die freie Presse ist eine Unternehmung die sich am freien Kapitalmarkt behaupten muss. Das freie Internet ermöglicht kostenlose Informationen und ist somit größter Konkurrent der freien Presse. In Deutschland gibt es ein Zeitungssterben, Zeitungen müssen als Unternehmen Geld erwirtschaften sonst gehen sie Pleite. Wie kann man gewährleisten das man als freie Zeitung nicht Pleite geht?

Um freie Berichterstattung zu gewährleisten, benötigt man einen Absatzmarkt, der bereit ist für diese Geld zu bezahlen. Was gibst du für Presseinformationen an Geld aus? Und was liest du?
 
Man spricht nicht umsonst von der "4. Macht im Staate" - Jeder Versuch, diese Macht zu beschneiden, führt zu Zensur und damit weg von freier Presse und Demokratie. Allerdings ist es dann logisch, dass Journalismus auch als Machtfaktor ausgenutzt wird.

Und man kann einem Journalisten ja nicht vorwerfen, das er etwas erst "bei Bedarf" aus der Schublade zieht. Jeder spielt seine Karten so gut er kann.
 
Du hast in Deiner Aufzählung den 20 Jahre alten Porsche von Klaus Ernst vergessen.

Ansonsten sei auf den unvergesslichen Gründungsherausgeber der FAZ Paul Sethe verwiesen:

Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.

Und das hat er schon vor 45 Jahren geschrieben.

Paul Sethe
 
Man spricht nicht umsonst von der "4. Macht im Staate" - Jeder Versuch, diese Macht zu beschneiden, führt zu Zensur und damit weg von freier Presse und Demokratie.

Nur ist diese Macht durch nichts und niemanden legitimiert.

Da haben wir jetzt Spitzenkandidaten, demokratisch durch eine Abstimmung der Mitglieder bzw. -vertreter legitimiert, und dann wird von dritter Seite versucht, ungeachter dieses demokratischen Vorgangs den Kandidaten abzusägen.

Wo liegt dann im Endeffgekt die Macht?

Und man kann einem Journalisten ja nicht vorwerfen, das er etwas erst "bei Bedarf" aus der Schublade zieht. Jeder spielt seine Karten so gut er kann.

Ich verwerfe Leuten vor was ich will. :p

Ich sehe im Endeffekt zwei Sachen:
Es wird immer schwieriger, (fähige) Leute zu finden, die in der Politik aktiv werden, wenn selbige Angst haben müssen, dass ein Ereignis von vor x Jahren ausgegraben werden.
Heute wird in der Geschichte von vor zwei Jahren gegraben, wann sind wir bei zwei Jahren?

Andererseits verspielen die Journalisten doch jede Möglichkeit, in Interviews konkrete Infos zu bekommen.
Da hab ich vor kurzem nen Presseclub gesehen, wo es um das Steinbrück Interview ging, wo ihm die Frage nach dem Kanzlergehalt gestellt wurde.
Da meinte eine Journalistin, er hätte keine Stellung dazu beziehen müssen, mit dem Verweis, dass das nicht im Fokus des Partei/Wahlprogramms geht.
Meinte eine Kollegin, dass das prinzipiell richtig wäre, aber als Journalist will man lieber konkrete Antworten statt rumdrucksen.

gruss kelle!
 
Nur ist diese Macht durch nichts und niemanden legitimiert.
Doch - durch Auflagenzahlen bzw. Internetklicks. Hätte Die Dame im aktuellen Fall in einer kleinen Provinz-Zeitung oder einem Privaten Blog über ihre Erlebnisse berichtet, hätte es bei weitem Weniger Aufsehen und damit weniger Machtentfaltung gegeben,,,

Da haben wir jetzt Spitzenkandidaten, demokratisch durch eine Abstimmung der Mitglieder bzw. -vertreter legitimiert, und dann wird von dritter Seite versucht, ungeachter dieses demokratischen Vorgangs den Kandidaten abzusägen.
"Abgesägt" kann das Opfer nur durch die Werden, die ihn gekührt haben bzw. werden (Brüderle wird wohl erst auf einem Parteitag zum Spitzenkandidaten gewählt). Entscheidet die Partei, dass er nicht mehr tragbar ist, dann ist er 'raus. Der Sternartikel ist im Endeffekt kein Umstand, der einen Rücktritt rechtfertigen könnte, wohl aber die Wellen, die er jetzt schlägt.

Wo liegt dann im Endeffgekt die Macht?
Immer noch beim Souverän :p. Bzw. bei denen, die den Wählerwillen schon vor einer Wahl interpretieren wollen und abschätzen müssen, was das beste Ergebniss verspricht. Es ist ja nicht so, dass die "Opfer" von Mediendiskussionen, schutzlos sind: Brüderle wird verteidigt, weiland hatte Guttenberg seine Unterstützer, selbst Wulf wurde zeitweise noch wohlwollend bedacht.

Ich sehe im Endeffekt zwei Sachen:
Es wird immer schwieriger, (fähige) Leute zu finden, die in der Politik aktiv werden, wenn selbige Angst haben müssen, dass ein Ereignis von vor x Jahren ausgegraben werden.
Heute wird in der Geschichte von vor zwei Jahren gegraben, wann sind wir bei zwei Jahren?

Es werden auch Dinge ausgegraben, die noch viel älter sind, frag mal Frau Schawan! :LOL:
Menschen, die in der Politik aktiv sind, müssen sich darüber klar werden, dass sie nicht mit Kompetenz die meisten Punkte sammeln, sondern mit Integrität. Und dazu gehört, zu seinen Fehlern zu stehen UND zum richtigen Zeitpunkt selber die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Andererseits verspielen die Journalisten doch jede Möglichkeit, in Interviews konkrete Infos zu bekommen.
Da hab ich vor kurzem nen Presseclub gesehen, wo es um das Steinbrück Interview ging, wo ihm die Frage nach dem Kanzlergehalt gestellt wurde.
Da meinte eine Journalistin, er hätte keine Stellung dazu beziehen müssen, mit dem Verweis, dass das nicht im Fokus des Partei/Wahlprogramms geht.
Meinte eine Kollegin, dass das prinzipiell richtig wäre, aber als Journalist will man lieber konkrete Antworten statt rumdrucksen.
Ja, und was willst du? Willst du einen Seifenblasenautomat, oder einen Politiker, der sagt, was er denkt, selbst auf die Gefahr hin, dass es in der Bevölkerung nicht gut ankommt. Was er gesagt hat, hat er gesagt. Punkt. Es gäbe keinen Grund, ihn "abzusägen", und meines Wissens hat die Presse recht nüchtern über diese Aussage berichtet, und keine Hexenjagd gestartet.
 
[...]
Für mich hat die Presse die Aufgabe, unabhängig über Ereignisse zu berichten, hinter die Kulissen zu schauen, nicht aber, gezielt poltisch Stimmung zu machen.
In einer idealisierten Welt, ja. In dieser idealisierten Welt würde dann aber auch eine einzige Zeitung reichen, die alle lesen. Diese Zeitung wäre stets neutral, unabhängig und unvoreingenommen.

Kein Mensch, den ich kenne, ist neutral. Jeder hat eine Meinung und Vorurteile. Manche bemühen sich mehr um Neutralität als andere, einigen gelingt es mehr als anderen. Fakt ist aber auch, dass hinter Zeitungen immer Menschen stecken - vor allem Redakteure. Und mancher Zeitung gelingt die Neutralität halt besser als einer anderen.

Oberstes Ziel einer Zeitung ist leider nicht, den Bürger neutral zu informieren, sondern Umsätze zu generieren. Und das gelingt nunmal am besten, wenn man eine Leserschaft um sich scharrt, deren Bedürfnisse befriedigt werden. Deswegen lese ich immer gerne aus mindestens 2 Quellen, wenn mich ein Thema interessiert.

Was Deine Beispiele betrifft muss ich sagen, dass das ja nun nicht wirklich neu ist. Medien können Menschen ruinieren oder hypen. Auf dem Titelblatt am Montag "(Bier)Kelle hat sich vor einem Kindergarten entblößt und schmutzige Lieder abgesungen" und einen Tag später auf der vorletzten Seite ganz unten die Gegendarstellung: "Die Darstellung der Ereignisse in unserer Montagsausgabe war leider falsch. (Bier)Kelle wurde von einem Seniorenheim zum Kaffee eingeladen und sang mit ihnen bis in die Nacht alte Weisen".
Was bleibt nun den Leuten im Gedächtnis?

Ich vermisse seit Jahrzehnten journalistische Professionalität in den meisten Blättern. Daran muss man sich leider gewöhnen und lernen, nicht alles zu schlucken, was einem vorgekaut wird. Ist leider so. War aber vermutlich schon immer so.