Eintrag #57, 20.07.2007, 16:19 Uhr

Wiedersehen mit meinem Sohn (sehr privat)

Bis er anderthalb war, hatte ich ihn täglich im Arm. Ich bin Nacht für Nacht aufgestanden, wenn er hungrig oder unruhig war. Gab ihm sein Flächschen. Bin immer wieder dabei eingeschlafen, weil er so langsam getrunken hatte. Aber nein! Wachbleiben! Ihn bloß nicht fallen lassen!

Hab mit ihm zusammen auf dem Sofa geschlafen, weil ich am Tage die Augen nicht mehr offen halten konnte. Habe seine kleinen Händchen gespürt, wie er mit all seinen Fingern einen meiner Finger umfaßt und nicht mehr loslassen wollte. Welche Kraft in so einem kleinen Baby steckt!

Dann der Tag, als er vom Wickeltisch fiel und mit dem Kopf voll gegen eine Schrankkante knallte. Oh, Vater, unser, im Himmel! Es vergingen nur Sekunden, kaum zwei, drei Minuten, bis ich mit ihm in der Klinik war. Aber er hatte den Dickkopf seiner Mutter: nur eine kantige Beule an der Stirn.

Dann mein letzter Ausflug mit ihm:

Während Mami noch schlief, bin ich mit ihm erst von Köln nach Bonn, dann - ihn auf den Schultern - zu Fuß von Königswinter an der steilen Seite auf den Drachenfels hochgeklettert. Er war schon über ein Jahr alt und ganz schön schwer. Kein Baby mehr! Hat sich gut festgehalten und war ganz brav. Dann noch bis ganz hoch zur Burg-Ruine, und später mit der Zahnradbahn zurück ins Tal. Unten haben wir was gegessen. Dann wind wir zurück nach Bonn, zum Auto, und dann nach Hause zu Mami. Ich hatte ihn selten so ruhig, so aufmerksam und zugleich so glücklich erlebt wie an jenem Tag.

Wenige Wochen später kam der Moment, als sie ihn forttrug. Er lag über ihrer Schulter, hob den Kopf hoch, streckte die Arme zu mir aus und schrie aus voller Kehle: Papaaaa, Papaaaaa... Kinder schreien oft mal. Aber dieses Schreien war voll panischer Angst. Einen Ton, den man nie wieder vergessen kann.

Sieben Jahre lang hatten mich diese Schreie, dieses Bild, seine ausgestreckten Arme und sein verzerrtes Gesicht in meinen täglichen Albträumen verfolgt. Ich durfte und ich KONNTE ihn von da an nicht mehr sehen. Ein einziges Foto hätte genügt, mich wieder vollkommen aus der Bahn zu wefen. Nur noch im Traum war ich bei ihm, täglich, in JEDER Nacht und JEDEM Tagtraum.

Heute, jedoch, stand er nun vor mir. Fast neun Jahre alt. Kurz vor der Dritten Klasse. Seine Mutter und er sind für 14 Tage zum Urlaub zu uns gekommen. Endlich!

Nun stand er wahrhaftig vor mir. kam auf mich zu, gar nicht schüchtern, umarmte mich und sagte nur: Papaa! All meine jahrelange Angst vor diesem Moment war wir weggeblasen. Wir haben uns einfach nur umarmt. Und später am Kaffeetisch kam er an meine Seite, nahm meinen Arm und legte seinen Kopf auf meinen Arm und hielt mich einfach nur fest, ohne ein Wort zu sagen...

Es fällt immer noch schwer, auch nur darüber nachzudenken, geschweige denn darüber zu schreiben. Ich heule wie ein Schloßhund, wenn ich allein bin. Aber sobald er bei mir ist, sind all die Gedanken fort. Nur eine sanfte, gütige Harmonie strömt durch seine Berührungen in meinen Körper hinein. Die Erinnerungen an seine Berührungen waren es damals, die mich in den Wahnsinn getrieben haben, nachdem er mir weggenommen wurde. Und nun sind es die Berührungen, die mit ihrer magischen Harmonie meine Seele aus ihrem Sarkophag wieder herauszuholen scheinen. Keine Worte, keine Argumente, nur in den Arm nehmen, sich anschmiegen, sich streicheln, wieder zusammen sein - nach so vielen Jahren, als wäre es nur ein Tag gewesen oder eine lange Nacht.

Und doch:

Der Haß auf die blinden Bürokraten, die ihn mir ganz nach Schema F wegnahmen, die das zumindest absegneten, ohne auf mich zu hören, weil ich eben der Vater war, und Männer nun mal die Bösen sind - dieser Haß sitzt noch immer so tief und fest im Sattel, daß ich nach wie vor zu keinem einzigen Behördentermin persönlich erscheinen könnte ohne dabei einen Tötungsdelikt ernsthaft zu riskieren. So war es nun über sieben Jahre lang. Und so wird es wohl auch noch bis zum Ende meines (oder eines Beamten) Lebens bleiben. Aber zum Glück habe ich inzwischen Anwälte, die mir das abnehmen. Sonst hätte mein Sohn seinen Vater erst in 25 Jahren wiedersehen können - oder niemals mehr.
 
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