4PM: Bald kann schon zu spät sein – Ein Cinematic Indie-Game
Cinematic Games – ein interaktives Filmerlebnis
Wer in Computerspielen lieber zum schweren MG greift und damit Horden an Gegnern umnieten möchte, der sollte am Besten gleich aufhören zu lesen. Denn 4PM ist ein Indie Game, das in das Genre der Cinematic Games eingeordnet wird. Noch nie gehört? Der Begriff an sich ist relativ neu und wurde erst im Laufe der Zeit geschaffen, als mehr von diesen actionarmen, filmähnlichen Spielen auf den Markt drängten.
Angefangen mit dem erfolgreichsten Titel Dear Esther (zu unserem Retro Review), begannen auch andere Titel die Spielmechanik des linearen, aber emotionslastigen Story-Erkundens für sich zu entdecken. Zunächst nannte man diese Spiele “Not-Games”, denn was tat der Spieler schon großartig? Nicht mehr als in einer Welt herumlaufen und eine Story durch wenige Interaktionen durchleben. Obwohl in der öffentlichen Wahrnehmung Computerspiele immer als sehr actiongeladen assoziiert werden, traf diese Art des Gaming genau den Nerv vieler Zocker. So veröffentlichen große und kleine Entwicklerstudios im Laufe der letzten Jahre immer öfter Titel dieser Art, vom erfolgreichen Indie-Game Gone Home über hochwertige Konsolentitel á la Heavy Rain und Fahrenheit bis hin zum emotionalen Game zur Serie The Walking Dead (unser Test zum 1. Teil).
Ein weiteres Projekt in diese Richtung soll nun 4PM darstellen. In diesem Indie-Game, entwickelt vom Ein-Mann-Studio Bojan Brbora, soll der Spieler eine kurze, interaktive Geschichte erkunden, die sich im Kern darum dreht, dass jeder Tag im Leben der Wichtigste sein könnte und es für manche Entscheidungen schon zu spät werden kann. 4PM wird am 9. Juli 2014 auf Steam erscheinen und 5,99€ kosten.
In der Kürze liegt die Würze?
Dass die Story kurz ist, kann man gleich vorwegnehmen, denn egal für welche der Alternativen sich entschieden wird, mehr als eine halbe Stunde wird niemand für den Durchlauf brauchen. Zudem ist die ganze Erzählung komplett linear, wählt der Spieler die falsche Möglichkeit aus, wird er zurückgeworfen bis er sich für das Richtige entscheidet.
Das erste, was beim Start so richtig ins Auge sticht, ist die Steuerung und die Kameraperspektive. Die Protagonistin bewegt sich nur äußerst behäbig und schwankend durch ihr Appartement. Das Kamerasichtfeld ist eingeschränkt, außerdem wirkt alles sehr verschwommen, als ob ein “blurry” Filter darüber gelegt wurde. Nach ein paar Minuten im Game kann das schon Kopfschmerzen verursachen.
Warum das so ist, wird der Spieler aber schnell feststellen: Unser Hauptcharakter hat ein großes Alkoholproblem, deshalb der wackelige Gang und die verschwommene Sicht. Der letzte Drink des Abends sitzt auch noch um 11 Uhr Morgens tief in den Knochen. Zu allem Überfluss ist der Anrufbeantworter vollgequatscht von Therapie-Ärzten, die sich um das Wohl der Frau sorgen, die ungeöffneten Briefe der anonymen Alkoholiker sind der Stimmung auch nicht gerade zuträglich. Das kann kein guter Tag werden … Fast wie zur Krönung klingelt das Handy erbarmungslos und der Chef schnauzt durch den Lautsprecher, warum man denn schon wieder nicht pünktlich auf der Arbeit erschienen ist. Frühstück fällt aus, die letzte Flasche Wein ist leer. Also rein in die Klamotten und auf ins Büro.
Vom Zuhören und Erleben
Zwischen den interaktiven Szenen gibt es filmähnliche Abschnitte, in welchen vor allem Dialoge stattfinden, denen gelauscht werden soll, weil sie die Umstände und Zusammenhänge erklären. Würde man diese näher beschreiben, wäre allerdings das komplette Spiel”erlebnis” vorweggenommen. Leider sind diese filmischen Sequenzen nicht so gut gemacht, die eingeblendeten Dialoge fesseln nicht und lassen auch nicht zu, dass man sich näher in die Story einfühlen kann. Das liegt vor allem daran, dass Zusammenhänge sehr weit hergeholt sind oder die Themen oberflächlich sind, obwohl der Grundtenor der Geschichte an sich viel Potential bietet. Zudem sind die Schnitte furchtbar gesetzt, die Ladezeiten zwischen den teils sehr kurzen Szenen, in welchen der Bildschirm einfach dunkel bleibt, lassen kein flüssiges Spielerlebnis draus werden.
Jeder Tag könnte der Letzte sein
2 Uhr nachmittags im Büro. Der Chef nervt, der Magen verlangt nach flüssigem Nachschub. Schnell den Notvorrat von 3 Schnapsflaschen (!) im Büroschrank gekippt… doch das reicht nicht. Die Protagonistin kommt auf die glorreiche Idee, sich aus dem Büro davonzustehlen, um sich in der Bar im Erdgeschoss den ersehnten Nachschub zu gönnen. Ob das ein guter Plan ist? Nun folgt die einzige wirklich spielerisch interaktive Szene des Games: Dem Chef unbemerkt aus dem Büro entkommen. Das ist weniger schwierig als es sich anhört. Im Treppenhaus sehen wir einen jungen Anzugträger, der traurigen Blickes Richtung Dach läuft. Wir haben nun die Möglichkeit ihm aus Neugier zu folgen, oder doch lieber in die Bar entwischen und die Sucht befriedigen.
4 Uhr Nachmittags. Es kann schon zu spät sein. Egal ob in der Bar, oder auf dem Dach. Das Schicksal holt einen immer ein. Wer die falsche Entscheidung trifft, nämlich in die Bar zu gehen, wird wieder im Treppenhaus landen und hat nun nur noch die Auswahl dem Mann aufs Dach zu folgen. Welch Überraschung, natürlich will der gute Mann Selbstmord begehen und steht bereits auf der Brüstung des Gebäudes. Erst jetzt wird klar, dass unsere Protagonistin den Mann schon länger kennt und die Beiden sogar ein Verhältnis haben. Wieder fragt man sich als Spieler, ob man während der Dialoge irgendwas verpasst hat, oder ob diese Verwirrung einen gewollten Demenz-Effekt durch den Alkohol darstellen soll. Schafft es die gute Frau, den lebensmüden Kollegen vor dem Freitod zu bewahren und bekommt dadurch sogar ihr eigenes Leben in den Griff?
Fazit Shatiel
Ich bin normal ein großer Fan von Cinematic Games und liebe es, eine stimmungsvolle Story in einer ebenso schön gestalteten Welt zu erkunden. Die Screenshots und Videos zu 4PM sahen sehr vielversprechend aus, doch im Nachhinein muss ich sagen: Hat man diese gesehen, kennt man schon das ganze Spiel. Es ist wirklich extrem kurz. Die Story enttäuscht auf ganzer Linie, nirgendwo schafft es der Entwickler, den Spieler tief in die Geschichte hineinzuziehen und ihn zu fesseln. Die spärlichen Interaktionsmöglichkeiten tun ihr Übriges zum schlechten Eindruck. Zudem sind die Zusammenhänge sehr weit hergeholt… den Typ, der sich vom Dach stürzen will, scheinen wir erst in der Nacht zuvor im Club kennengelernt zu haben, übrigens beim Kotzen auf dem Klo, und jetzt sollen wir schon monatelang eine Affäre mit ihm haben?
Auch die Story um die Protagonistin und ihr Alkoholproblem finde ich persönlich nur in der Kameraperspektive gut dargestellt, alles andere ist zu oberflächlich eingebaut worden. Seltsam ist dann auch, dass wenn wir die Protagonistin mal sehen (z.B im Badspiegel oder auf der Dachszene), sie gesund und frisch aussieht und nicht wie ein alkoholgeschädigtes Wrack. Da passt die Story nicht zu dem, was man sieht. Schade, denn Potential hätte die Geschichte gehabt und die grafische Darstellung der Räume wäre ebenfalls in Ordnung gewesen. Das einzige wirklich lobenswerte ist die Vertonung der Dialoge, die ist gut gelungen und wirkt professionell. So kann ich persönlich das Spiel aber niemandem empfehlen, 5,99€ sind dafür auch einfach zu viel, das sind etwa 20 Cent pro Minute Spielzeit.